23.04.2021

Von Heiligen und Widerspenstigen

Jolanda Spirig weckt in Altstätten, Rebstein und Widnau Erinnerungen an bemerkenswerte Frauen und ihr Leben.

Von Hildegard Bickel
aktualisiert am 03.11.2022
Die Marbacher Autorin steht vor der reformierten Kirche in Altstätten, einer bedeutenden Station auf den Rheintaler Frauenrundgängen, die sie im Mai und September durchführen wird. «Hier predigte Pfarrerin Hanna Sahlfeld-Singer, die erste Rheintaler Nationalrätin», sagt Jolanda Spirig. «Sie inspirierte viele junge Mädchen, erlebte aber auch Widerstände.»Entgegen dem damaligen nationalen Abstimmungsergebnis hatten die Altstätter Männer vor 50 Jahren das Frauenstimm- und Wahlrecht wuchtig abgelehnt. Trotzdem wurde Hanna Sahlfeld-Singer für die SP in den Nationalrat gewählt und nach vier Jahren wiedergewählt. Aber man habe der Familie das Le-ben so schwer gemacht, dass sie schliesslich nach Deutschland auswanderte.Die Anfrage kam zum JubiläumJolanda Spirig hat dank der Recherchen zu ihren Büchern viel Wissen darüber, wie Rheintaler Frauen im 19. und 20. Jahrhundert lebten. Auf Anregung des Archivs für Frauen-, Geschlechter- und Sozialgeschichte Ostschweiz und im Auftrag des Museums Prestegg hat sie die Rundgänge vorbereitet. Dies im Rah-men des Jubiläums «50 Jahre Frauenstimm- und Wahlrecht».Es war eine willkommene Anfrage. Denn die 67-Jährige befindet sich in einer seltsamen Situation, wie sie sagt. Vor einem Jahr erschien ihr neues Buch – «Hinter dem Ladentisch» – das sie bisher pandemiebedingt noch kaum an Lesungen vorstellen konnte. Der Kontakt und direkte Rückmeldungen der Leserschaft fehlen Jolanda Spirig. Nun freut sie sich, dass die Rundgänge stattfinden können. Sie sind gemäss den beschlossenen Lockerungen des Bundesrates mit Maske möglich.«Früher wünschte ich mir, es gäbe Rundgänge dieser Art im Rheintal.» Sie nehme selber gern an Führungen teil, ein Angebot, das meist nur in Städten verfügbar sei. Zielstrebig läuft Jolanda Spirig zur Kreuzung von Heidener- und Trogener-strasse und bleibt vor dem Egghus stehen. «Hier befand sich das erste Eisenwarengeschäft von SFS, gegründet 1928 von Benjamin und Anna Stadler-Bischof.» Nach dem frühen Tod ihres Mannes führte die Witwe den Betrieb durch das wirtschaftlich schwierige Umfeld der 30er-Jahre und des Zweiten Weltkriegs. «Ohne den Einsatz von Anna Stadler-Bischof gäbe es den Weltkonzern SFS in dieser Form nicht.»Bei weiteren Stationen steht die Rebsteiner Stickereifabrikantin Josy Geser-Rohner im Mittelpunkt sowie die heiliggesprochene Missionarin Maria Bernarda Bütler, Oberin des Klosters Maria Hilf, die nach Ecuador ausgewandert ist. Ebenso Fani, die Hausangestellte des Altstätter Kaplans, und die beiden Zwangssterilisierten Frauen Bernadette Gächter und ihre Mutter Marie-Louise Hagger. Dazu eine Abteilungsleiterin und eine Heimarbeiterin von Jacob Rohner.Jolanda Spirig erzählt beim Rundgang durch die Gassen, was mit Rheintalerinnen geschah, die den rigiden gesellschaftlichen Moralvorstellungen nicht entsprachen. Sie liest Passagen aus Büchern vor und eröffnet Einsichten in frühere Epochen. «Es ist nicht nur eine Würdigung der vorgestellten Frauen, es ist auch nötig, ihre damalige Lebenswelt zur Kenntnis zu nehmen», sagt sie, «hinzuschauen, wie sie lebten, welche Wertvorstellungen und Bedingungen sie prägten.»Ein Kapitel über junge, einheimische FrauenGegensätze sprechen Jolanda Spirig an. Widerspenstige Frauen und streng katholische erwähnt sie, auch die Clownin und gebürtige Altstätterin Gardi Hutter und Frauen, die heute erfolgreich in der Wirtschaft tätig sind, etwa die Sonnenbräu-Geschäftsführerin Claudia Graf oder Brigitte Lüchinger, Präsidentin des Rheintaler Arbeitgeberverbandes.Man hört Spirig gebannt zu und möchte mehr erfahren. Die Rundgänge dauern etwa eineinhalb Stunden. Wünschen es die Besucherinnen und Besucher, könnte Jolanda Spirig von weiteren Frauen und deren Leben berichten. «Sofern mir hinter der Maske nicht die Luft ausgeht.»Hinweis - Öffentliche Frauenrundgänge: Altstätten: 4. Mai, 2. September; 18.30 Uhr, Museum Prestegg. Rebstein: 11. Mai, 9. September; 18.30 Uhr, ri.nova Impulszentrum. Widnau: 18. Mai, 23. September; 18.30 Uhr, Einkaufszentrum Rhyland. Anmeldung online unter www.prestegg.ch.

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