09.03.2021

Von Föhn und Hochwasser geprägt

Als Bub sparte Lukas Lehner auf seine erste Wetterstation – heute bringt er Wetterdaten in die Automobilindustrie.

Von Seraina Hess
aktualisiert am 03.11.2022
Seraina HessDer Saharastaub färbt den Himmel über dem Alpstein gelb und das Display der Wetterstation in Lukas Lehners Büro offenbart einen der ersten frühlingshaften Tage des Jahres: 15,1 Grad Celsius, Nordwind mit einer kaum wahrnehmbaren Stärke von 6 km/h. «Das ist der typische Ablauf», sagt Lehner, «nachmittags weht der Talwind vom Flachland in die Berge; am Abend kühlt die Luft in den Bergen schneller ab und der Wind dreht.» Zusammenhänge wie diese beobachtet der 28-jährige Projektleiter bei MeteoGroup in Appenzell nicht erst seit seinem Meteorologiestudium in Innsbruck. Das Wetter, vor allem jenes im Rheintal, trieb ihn schon als Kind um. «Föhn und Hochwasser sind wohl die beiden Wetterphänomene, die mich am meisten geprägt haben», erinnert sich Lehner.Erste Wetterstation im elterlichen GartenMit dem Gummiboot hat er als Sechsjähriger sein erstes Binnenkanal-Hochwasser erkundet, stand bis zur Hüfte im Wasser und war überwältigt von den Massen. Nach dem Ereignis im Jahr 1999 wusste er bald alles über die Ursachen dieses Wetterphänomens: «Tritt das Unwetter in Graubünden auf, führt der Rhein Hochwasser. Stauen die Wolken am Alpsteinmassiv, ist hingegen der Binnenkanal betroffen.» In der Oberstufe hatte Lehner genug Geld beisammen, um im elterlichen Garten in Widnau seine erste Wetterstation aufzubauen. 500 Franken investierte er in Geräte, bei deren Auswahl ihm der Bernecker Wetterfrosch Mischa Thurnherr half. Von diesem Zeitpunkt an sammelte der Teenager Messwerte, stellte Regelmässigkeiten fest und interpretierte sie. Auf rhein talmeteo.ch begann er während der ersten Jahre an der Kantonsschule Heerbrugg, Wetterprognosen für die Region zu veröffentlichen.Ein Datensatz, der mit jedem Jahr wertvoller wirdSo kam es, dass Lukas Lehner vor zehn Jahren, am 12. Februar 2011, zum ersten Mal in dieser Zeitung neben einer Wetterstation posierte – kurz nach der Präsentation seiner Maturaarbeit. Die Interpretation von Messdaten sieben verschiedener Orte im Rheintal brachte ihm wenig später sogar den Anerkennungspreis im naturwissenschaftlichen Fachbereich ein. Der Preis freute ihn, die Note auch – viel wichtiger ist ihm heute aber, dass sein Vorhaben von damals Bestand hatte. Denn noch immer misst die Station im Garten der Eltern das Widnauer Wetter, inzwischen seit rund 15 Jahren. Gemäss Lehner ein ziemlich wertvoller Datensatz: «Das ist schon die Hälfte, die man für eine klimatologische Aussage benötigt. Denn erst nach drei Jahrzehnten, wenn auch kürzere wetterbedingte Variabilitäten ausgeschlossen werden können, lässt sich feststellen, ob es im Rheintal kälter oder wärmer wird.» Inzwischen hat Lehner schon lange Zugriff auf Daten tausender Wetterstationen. Das Interesse an der Meteorologie ebbte auch nach der Kanti nicht ab und wuchs weiter. Lukas Lehner sei «der zweitbeste Petrus», titelte diese Zeitung 2013, als er am internationalen Wetterturnier, dem Wettkampf der Meteorologen, Erfolge feierte. Das Hobby machte er zum Studium, das Studium schon bald zum Beruf. Bereits während der Ausbildung begann er bei MeteoGroup in Appenzell, früher Jörg Kachelmanns Meteomedia, Wetterprognosen zu erstellen – nicht vor der Kamera wie Berufskollegen bei SRF, sondern in seinem Büro mit Blick auf den Hohen Kasten. «Die Technik erledigt heute natürlich viel für uns. Die Aufgabe eines Meteorologen besteht darin, die Prognosen des Computers zu verfeinern und vor allem nutzergerecht zu kommunizieren.» Lehner hat miterlebt, wie sich sein Arbeitgeber von einem Unternehmen, das mit TV-, Radio- und Zeitungswetter gross geworden war, zu einem Betrieb entwickelte, der heute vor allem Business-to-Business-Dienstleistungen anbietet. Bald versorgte der Meteorologe also nicht mehr die Presse wie das «Liechtensteiner Vaterland» oder den «Volksfreund» mit Prognosen, sondern Winterdienste in der ganzen Schweiz mit Glätte-Vorhersagen oder Grossveranstalter mit Gewitterwarnungen. «Ein Beispiel ist das Openair Frauenfeld: Ich war vor Ort, um das Wetter zu analysieren und das Unwetterrisiko abzuschätzen» Dabei trifft der Meteorologe zwar nicht die Entscheidung, ein Gelände zu evakuieren, erstellt für den Veranstalter aber die Entscheidungsgrundlage. Extremsportler sicher durch das Rennen bringenDie Verantwortung sei nicht zu unterschätzen – gerade wenn es um Extremsportarten gehe. Lehner erinnert sich an einen Athleten, der 2017 im Gleitschirm-Wettkampf RedBull X-Alps in zwei Wochen von Salzburg nach Monaco flog und rannte. Tag und Nacht sass der Widnauer vor dem Computer und deutete Wind und Gewittersituation, die für den Sportler lebenswichtig waren.Wetterdaten für selbstfahrende AutosSeit 2019 ist Lukas Lehner bei MeteoGroup, die heute zum US-Grosskonzern DTN gehört, als Projektleiter tätig, etwa für Kunden in der Automobilindustrie. «Unser Ziel ist es, dass vernetzte und selbstfahrende Fahrzeuge Passagiere immer sicher ans Ziel bringen, auch bei Winterwetter.» Für elektrische Fahrzeuge hat Lehner mit Wissenschaftlern und Kunden bereits Lösungen entwickelt, die Berechnungen der von Wind und Temperatur beeinflussten Reichweite optimieren. Obschon Lehner beruflich keine Wetterprognosen mehr erstellt, sagt er privat noch immer vorher, ob es morgen regnet, stürmt oder ob die Sonne scheint. So unterstützt er immer wieder Ballonfahrer oder Paragleiter bei schwierigen Gewitter- und Nebelprognosen. Die Plattformen rheintalmeteo.ch, profiwetter.ch sowie Twitter bespielt er regelmässig mit lokalen oder internationalen Wettervorhersagen und Messwerten. Auch die inzwischen ausgebaute Wetterstation aus der Schulzeit bleibt, wo sie ist: Im Garten der Eltern in Widnau, wo sie die nächsten 15 Jahre weiter Rheintaler Wetterdaten aufzeichnen soll.

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