18.08.2022

Von der Heidler Gerbe ins Nationalteam

Er stand kurz davor, «Eins»-Spieler beim FC Heiden zu werden. Doch der Weg von Nicolaj Stark führte in eine andere Richtung. Er wechselte nach St. Gallen zum American Football – und ist nun Nachwuchs-Nationalspieler.

Von Remo Zollinger
aktualisiert am 02.11.2022
Es ist ein heisser Samstagnachmittag im St. Galler Espenmoos. Doch die rund 30 Grad und der pralle Sonnenschein halten Nicolaj Stark und einen Freund nicht davon ab, Sonderschichten einzulegen. Die beiden werfen sich den Ball zu, fangen ihn, rennen, machen Witze, geniessen es einfach. Anderthalb Stunden haben sie vor dem Gespräch schon trainiert – und nach diesem geht’s weiter. Stark hat in kurzer Zeit im Football schon viel erreicht, doch das soll noch nicht alles gewesen sein. Spricht er über den Sport, kommt er ins Schwärmen.[caption_left: Footballer mit Leidenschaft: Nicolaj Stark versucht, seinen Gegner zu stoppen und hängt sich an ihn.]«Ich habe mich in diesem Sport wiedergefunden, es gefällt mir alles daran», sagt der fröhliche 18-Jährige, der zuvor elf Jahre auf der Heidler Gerbe Fussball gespielt hat. Dabei begann sein Weg denkbar einfach. «Ein Klassenkamerad hat mich davon überzeugt, zum Probetraining bei den Bears zu kommen. Zuvor hatte ich noch keine Football-Erfahrung. Doch es hat mir von Anfang an gefallen, die anderen Spieler haben mich gut aufgenommen und ich fühlte mich sofort wohl», sagt Nicolaj Stark. So begann im Frühjahr 2021 seine Laufbahn als Footballer. Der Eggersrieter spielte zwei Saisons bei der U19 des American Football Clubs Bears St. Gallen und blühte in seiner Rolle in der Safety und dann als Outside Linebacker auf.Die Männer haben den Aufstieg in die NLA verpasstSeine Stimmung trübt es auch nicht, dass das Aktivteam der Bears im Sommer den Aufstieg von der zweiten in die erste Spielklasse knapp verpasst hat. Es gewann die NLB, im Entscheidungsspiel scheiterten es jedoch an einem NLA-Team. «Dann steigen wir halt nächstes Jahr auf», sagt Stark. Dann kann er auch etwas dazu beitragen, denn er steigt nach etwas mehr als einem Jahr Football-Aktivität in dieses Team auf. Und hat schon erste Spiele für die Männer bestritten, in anderen Positionen als zuvor.Dennoch sagt er: «Ich hätte mir den Wechsel krasser vorgestellt. Eigentlich ist es nicht so sehr anders als in der U19, ausser dass manche Spieler noch kräftiger sind.»[caption_left: Beim AFC Bears St.Gallen trägt Stark die Nummer 16.]Football hat in St. Gallen keine grosse Tradition. Fans des Sports gibt es viele, den amerikanischen Super Bowl verfolgen auch die Schweizerinnen und Schweizer so, als fände er vor ihrer Haustür statt. Er ist einer der grössten Sportevents der Welt – und dennoch spielen in der Schweiz nicht viele aktiv Football. Den AFC Bears St. Gallen gibt es seit zehn Jahren; beim Verband angemeldet ist er seit 2014. Was dem Verein fehlt, ist ein grösserer Unterbau im Nachwuchs. Es gibt die Aktiven, das Frauenteam und die U19, Teams für jüngere Juniorinnen und Junioren aber noch nicht.Es geht nicht nur darum, möglichst kräftig zu seinDas liegt laut Nicolaj Stark auch daran, dass viele ein falsches Bild vom American Football haben. Er sagt, Körperkontakt sei natürlich wichtig, aber nicht alles, was den Sport ausmache. Es brauche ebenso die flinken, agilen Spieler – solche, wie er es ist – die den Gegnern davonlaufen können.[caption_left: Beim Kicken kommen Nicolaj Stark die Skills aus dem Fussball entgegen.]Auf den meisten Positionen gebe es oft Zweikämpfe, aber die verlaufen Eins gegen Eins. Ausser beim Runningback, «da chlepft es schon mal», so Stark. Es soll sich daher niemand davor scheuen, mal ein Probetraining der Bears zu besuchen. «Einfach ohne Hemmungen kommen», rät er Inte­ressierten, «gefällt es jemandem nicht, war es einfach eine Erfahrung. Aber ich bin sicher, den meisten gefällt es.»«Der Teamgeist bei den Bears ist super»Einer von diesen war Nicolaj Stark selber. «Der Körperkontakt gefällt mir, die Taktik, das Spielverständnis. Man muss immer einen Zug vorausdenken», sagt er. Dabei komme ihm seine Erfahrung aus dem Fussball doch zugute; ebenso beim Kicken, denn er hat die Kraft und das Können, einen Ball so zu schiessen, wie das sein muss.[caption_left: «Der Körperkontakt gefällt mir, die Taktik, das Spielverständnis. Man muss immer einen Zug vorausdenken», sagt Nicolaj Stark.]Und er sagt: «Der Teamgeist bei den Bears ist super. Jeder mag jedem ein Erfolgserlebnis gönnen.» Für einen zu grossen Konkurrenzkampf sei das Team ohnehin zu klein – was sicher ein Vorteil ist, aber auch ein Nachteil sein kann, wenn es darum geht, sich gegenseitig zu Höchstleistungen zu pushen.Über die Bears in die Nati – und dann in die EFL?Ob Nicolaj Stark, der als Zimmermann-Lehrling sehr zufrieden ist mit seiner Berufswahl, dies nötig gehabt hätte, sei dahingestellt. Denn er setzte sich durch, mit seinem Willen, den er beim Freizeittraining auf dem Espenmoos beweist. Er schaffte es mit recht wenig Erfahrung in die Schweizer U19-Nati, mit der er die Europameisterschaft in Tschechien bestreiten durfte. «Das ist ein unvergessliches Erlebnis, obwohl wir gegen Deutschland ziemlich hoch kassiert haben. Gegen Tschechien haben wir zwar auch verloren, aber das Spiel war ausgeglichen. Es hat einfach mega viel Spass gemacht», sagt Stark.Deutschland hatte sich zuvor mit dem Verband verkracht, weshalb es in die EM mit Schweizer Beteiligung zurückgestuft wurde. Der Anlass funktioniert ähnlich wie die Nations League im Fussball. «Das war schon krass, die sind alle in Academies und waren uns nicht nur körperlich überlegen.» [caption_left: An der EM unterlag die Schweiz zwar Deutschland und Tschechien, eine wichtige Erfahrung war sie aber doch. Bild: Lars Kauz]Sich mit solchen Spielern messen zu dürfen, war für Nicolaj Stark aber doch eine wichtige Erfahrung. Denn er will noch höher hinaus, als bei den Bears zu spielen. «Natürlich, zuerst muss ich im Männerteam ankommen und mich durchsetzen, das wird hart genug», sagt er. Aber: In Zürich gibt es ab 2023 ein Team der European League of Football, die der NFL zwar noch keine Konkurrenz macht, ihr Niveau ist aber doch sehr hoch. Dahin will Stark. «Und wieso nicht vielleicht einen amerikanischen Scout auf mich aufmerksam machen?» Das ist zwar Zukunftsmusik, aber die Arbeit, mehr zu erreichen, scheut Nicolaj Stark nicht.

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