Nach dem Zweiten Weltkrieg wurde bei der Konferenz von Jalta die Charta der Vereinten Nationen ausgehandelt. Sie war eine direkte Folge der vielen Opfer und Zerstörungen des Zweiten Weltkriegs. Die Völker und Nationen der Welt wollten in eine friedliche und geeinte Zukunft blicken. Viele dieser Bemühungen sind auch in der Zivilgesellschaft breit unterstützt worden. Ich als Deutsche zum Beispiel habe in meiner Kindheit und Jugend viele Kontakte nach Frankreich gehabt. Mein Vater war als Französischlehrer und Kommunalpolitiker in den deutsch-französischen Austausch sehr eingebunden. Deshalb bin ich mit dem Gedanken der deutsch-französischen Freundschaft grossgeworden. Ich habe viel über die Kultur, das Essen und vor allem über die Gastfreundschaft der Franzosen gelernt. Das hat dazu geführt, dass ich auch in Frankreich ein Gefühl von Heimat habe, weil ich das Essen kenne und schätze, den Wein, die Umgangsformen, weil ich die Sprache nicht perfekt spreche, aber mich solide verständigen kann.Wenn Jesus in der Bergpredigt sagt: «Liebt eure Feinde und bittet für die, die euch verfolgen, auf dass ihr Kinder seid eures Vaters im Himmel», dann sehe ich genau das vor mir. Ich sehe die gelebte Nachbarschaft und Freundschaft zwischen Menschen verschiedener Nationen, die einst verfeindet waren, und heute das politische Herz eines demokratischen und friedlichen Europas bilden. Aber ich sehe auch, dass dieser Gedanke der Versöhnung zwischen Feinden mehr und mehr verloren geht.Die internationalen Stimmen für eine grundsätzliche politische Zusammenarbeit zwischen möglichst vielen Staaten werden immer weniger. Menschen sind zunehmend verunsichert von dem, was sie als fremd wahrnehmen, und schotten sich ab, statt aufeinander zuzugehen und das Fremde kennenzulernen. Die führenden Politikerinnen und Politiker reagieren auf diese Verunsicherung und ziehen sich mehr und mehr aus der Gemeinschaft der Staaten zurück. Bundespräsident Alain Berset hat das Ende September in einer Rede bei der UN-Vollversammlung auf den Punkt gebracht: «Abschottung, Protektionismus, Drohungen und Gewalt waren aber noch nie eine taugliche Antwort auf die Missstände und Ungleichheiten in der Welt, in der wir leben», sagte Berset.In der Bergpredigt ruft Jesus uns dazu auf, dem als Einzelne entgegenzutreten, aufeinander zuzugehen und Feinde zu Freunden zu machen. Ich hoffe sehr, dass dieser Gedanke von Frieden und Verständigung und Feindesliebe sich in Europa und der Welt noch einmal durchsetzen kann.Ein schönes Wochenende wünsche ich Ihnen.Andrea HofackerPfarrerin in Marbach