14.03.2022

Von der Baustelle auf den Laufsteg

Der Widnauer Kevin Städler wurde vor acht Jahren auf dem Bau entdeckt und arbeitet seither als Model.

Von Interview: Alena Tschümperlin
aktualisiert am 02.11.2022
Von Überheblichkeit oder Arroganz ist in Kevin Städlers Gegenwart nichts zu spüren – zumindest nicht während des Interviews. Denn genau diese Eigenschaften verschaffen dem Widnauer Jobs, für die er um die ganze Welt reist. Zum Zeitpunkt des Gesprächs war das Model aber nicht gerade in Dubai oder Mailand, sondern im Rheintal bei seiner Familie. Hier führt der 30-Jährige für einmal wieder eine ganz andere Tätigkeit aus.Kevin Städler, Sie sind Model. Wieso arbeiten Sie zur-zeit auf einer Baustelle im Rheintal?Kevin Städler: Ich mache eine Art Therapie. Wenn man so lange in dieser Plastikwelt lebt und immer unterwegs ist, braucht man einen Anker, um das «normale» Leben wieder zu sehen. Ausserdem hat meine Schwester ein Kind und ich möchte es aufwachsen sehen. Deshalb bin ich gerade auf der Baustelle, danach geht’s wieder ans Modeln.Beginnen wir von vorne. Wie sind Sie zum Modeln gekommen?Vor etwa acht Jahren wurde ich von einem Scout aus London entdeckt. Damals war ich Bodenleger und arbeitete gerade auf einer Baustelle in Zürich. Der Mann sprach mich an und meinte, ich sollte nicht auf dem Bau arbeiten, sondern auf dem Laufsteg. Ich wimmelte ihn ab, da ich nie im Sinn hatte, Model zu werden. Am nächsten Tag schrieb er mich auf Facebook an. Natürlich habe ich sein Profil gecheckt und gemerkt, dass die Anfrage seriös war. Der Scout meinte, ich könnte reisen und die Welt sehen. Das reizte mich und ich versuchte mein Glück.Wie ging es los?Ich zog nach London und probierte dort, Jobs zu ergattern. Der Anfang war holprig, da ich die Sprache nicht beherrschte und nicht wusste, wie ich mich an Castings präsentieren soll. Mit der wachsenden Erfahrung funktionierte es besser und ich lernte, wie ich mich vor Kunden geben muss. Am besten überzeuge ich, wenn ich selbstbewusst und überheblich auftrete. Während der Arbeit trage ich eine Art Maske und verkörpere diesen arroganten Typen, der zu meinem Look passt. Nach einem Jahr in London zügelte ich nach Mailand. Dort lief ich auf richtig grossen Shows und erhielt Jobs auf der ganzen Welt.Wie hat Ihr Umfeld auf den Karrierewechsel reagiert?Überrascht. Viele waren skeptisch und haben mich vor dem Business gewarnt. Mich interessiert nicht, was andere denken, und die Warnungen fand ich unbegründet. Wenn man mit gesundem Menschenverstand an die Sache geht, kann nicht viel passieren.Hatten Sie am Anfang Bedenken, dass Sie dem Job nicht gewachsen sein könnten?Wer so denkt, hat schon verloren. Ich bildete mich im Internet weiter und sprach mit Leuten an Castings. Ausserdem hatte ich einen guten Kollegen, der bereits im Business war und mir Tipps gab. Es ist wie bei vielem: Je länger man etwas macht, desto besser wird man.Wie war die Umstellung vom Leben im Rheintal auf das Leben im Modelbusiness?Es war «wow»! Genau dieses Leben wollte ich. Nachdem der Stein ins Rollen gekommen war, konnte ich selbst entscheiden, wo ich arbeiten und welche Jobs in welchem Land ich annehmen wollte. Dieses Gefühl von Freiheit ist geil.Welche Jobs haben Sie bereits an Land gezogen?Wo soll ich anfangen … Schon viele. Beispielsweise lief ich mehrere Shows für Dolce & Gabbana, Givenchy oder Moschino, durfte Werbung für BMW, Jeep, Adidas oder Puma machen. Man sieht mich überall ein bisschen.Was war bisher Ihr Meilenstein?Im Januar war ich in Dubai für die Fashionweek und bin dort ein paar Shows gelaufen. Dubai war Hammer. Die Stadt, die Vibes, die Kleider – alles hat zusammengepasst. Allgemein gab es viele Highlights in den letzten Jahren. Ich liebe diesen Job.Mussten Sie schon schwierige Aufträge ausführen?Einmal hatte ich einen Modeljob auf einem Gletscher. Dort stand ich sehr nah am Abgrund und es ging steil runter. Mit meiner Höhenangst war das nicht so einfach.Was fesselt Sie am Modeln?Ich liebe es, Kulturen kennenzulernen und die verschiedensten Leute aus den verschiedensten Bereichen zu treffen. Ich bin sehr dankbar, dass ich diesen Job machen darf und weiss, wie glücklich ich mich schätzen kann, bereits so viel erlebt zu haben. Durch die Jahre auf Reisen habe ich sehr viel fürs Leben gelernt, das ich sonst verpasst hätte.Beispielsweise?Ein griechischer Yogalehrer erzählte mir, dass ein Zimmer immer aufgeräumt sein sollte, damit die Aura nicht gestört wird und der Geist freier ist. Eine weitere Erkenntnis ist, dass man nicht nur seinen Körper, sondern auch das Gehirn trainieren sollte. Das mentale Training ist fast noch wichtiger.Welche Schattenseiten bringt das Modeln mit sich?Ich sehe keine. Vielleicht, dass ich nie weiss, wie viel Arbeit ich bekomme. Doch bis jetzt hat es immer gut geklappt. Oder, dass man ein Produkt ist und auch so behandelt wird. Das finde ich nicht schlimm. Modeln zwingt mich dazu, auf meinen Körper zu achten, was ich gut finde. Ein negativer Punkt wären vielleicht Fake-Agenturen, die einen übers Ohr hauen wollen. Doch mit etwas Recherche kann man das umgehen.Hatten Sie schon mit falschen Leuten zu tun?Nicht gross. In den USA hat es viele davon, musste ich feststellen. So viele, dass ich nicht mehr gerne dahin gehe und lieber in Europa bleibe oder die östlichen Länder entdecke.Oft wird gesagt, dass die Modelbranche hart ist. Wie empfinden Sie das?Körperlich ist der Bau anstrengender. Mental kann es für Personen belastend sein, die beispielsweise Absagen oder Aussagen über das Aussehen per-sönlich nehmen. Absagen sind normal. Man kann nicht jedem Kunden passen.Wie sieht Ihre Zukunft als Model aus?Ich fühle mich wie zwanzig und kann mir gut vorstellen, diesen Beruf noch lange auszuüben. Solange ich fit bin und das Modeln Spass macht, mache ich weiter. Ich habe grosse Ziele und noch viel zu lernen.

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