25.07.2021

Vom Alpfieber gepackt

Adrian Gschwend verbrachte bereits vier Sommer auf der Alp Stätz. Wo andere Ski fahren, betreute er 230 Tiere.

Von Hildegard Bickel
aktualisiert am 03.11.2022
Der 32-Jährige wohnt im ehemaligen Schulhaus Hub-Hard zwischen Altstätten und Oberriet. Hier trifft man ihn nicht besonders oft an. Er lebt das Leben eines Wandervogels. Adrian Gschwend präparierte die letzten drei Winter die Pisten der Aletsch-Arena im Wallis und war im Sommer z’Alp in Lenzerheide. Von Anfang Juni bis Anfang September bimmeln auf der Alp Stätz Schellen und Glocken. Rund 100 Milchkühe, ca. 30 Galtkühe und etwa 100 Alpschweine sind in der Obhut der Hirten.Adrian Gschwend, der auf einem landwirtschaftlichen Betrieb aufgewachsen ist, spielte schon länger mit dem Gedanken, sich dem Älplerleben zu widmen. Als er von einem Bekannten erfuhr, dass die Alp Stätz frei wird, meldete er sich beim Alpmeister. Ausgeschrieben sei sie nicht gewesen auf zalp.ch, der Internetseite für Älplerleute. «Das ist typisch für die schönen, begehrten Alpen», sagt Adrian Gschwend. «Meist werden sie unter der Hand vergeben.»Um 3 Uhr klingelt der WeckerDer natur- und tierverbundene Alltag in den Bergen spricht vermehrt junge Menschen an. Oft hätten sie verklärte Vorstellungen, die nicht mit der Realität übereinstimmen. «Es ist streng auf einer Kuhalp», sagt Adrian Gschwend. «Wenn ich mir vorstelle, jeden Morgen um 3 Uhr aufzustehen, frage ich mich, wie kannst du dir das antun. Wenn ich aber auf der Alp bin, geht es.» Als Hirt sei er pausenlos im Einsatz. Je nachdem, wie lang die Saison wetterbedingt dauert, 85 bis 100 Tage. Die Arbeit sei nicht extrem stressig, aber die Präsenzzeiten gingen an die Substanz. Manche Älplerinnen und Älpler kämen schneller an ihre Grenzen als erwartet.Adrian Gschwend war die letzten beiden Sommer mit einem Kollegen auf der Alp, mit dem er sich sowohl menschlich verstand als auch Hand in Hand arbeiten konnte. «Wir bildeten ein super Team.» Morgens holten sie die Kühe in den Stall zum Melken. Danach begleiteten sie die Tiere auf die Weide, räumten auf und putzten den Stall, lieferten die Milch an die Alpkäserei Parpan und fütterten die Schweine. Gegen Abend wiederholten sich das Melkprozedere und die Stallarbeit. Nachmittags waren sie mit Kontrollrundgängen zum Galtvieh beschäftigt, sie erstellten Zäune und pflegten die Weiden.Bäume und Stauden wachsen bedingt durch wärmere Sommer auch in höheren Lagen. Sie müssen zurückgewiesen und gefällt werden, ebenso giftige Pflanzen wie das Alpenkreuzkraut, sonst ginge Weideland verloren. Einmal pro Woche kauften sie Lebensmittel ein. Gekocht und frisches Brot gebacken hat Adrian Gschwend meist selber.Der schönste Moment des TagesBisher erzählt er besonnen und ohne Romantik vom Älplerleben. Doch was ist der Reiz an diesem arbeitsintensiven Alltag? «Man ist viel zufriedener», findet Adrian Gschwend. Der schönste Moment des Tages sei der Sonnenaufgang, wenn der Tag erwache. Die Arbeit mit den Tieren erfülle ihn. «Das Tier verhält sich so, wie du mit ihm umgehst. Sie geben viel zurück und sind dankbar.»Er mag es, selbstbestimmt und im Rhythmus der Natur zu arbeiten. Mit all den schönen und schwierigen Momenten. Manchmal müsse man bei Hagel, Gewitter oder Schneefall die Tiere holen und in Sicherheit bringen.Familie und Partnerin helfen mitAn Gesellschaft auf der Alp mangelte es nicht. Die Hirten betrieben ein Selbstbedienungsbeizli und da die Alp gut erschlossen und auch mit dem Auto erreichbar ist, kamen oft Freunde und Familienangehörige zu Besuch und halfen tatkräftig mit. Adrian Gschwend hofft, er könne diese Lebensart weiterpflegen. Seine Partnerin, eine Walliserin, unterstützt ihn und akzeptiert die Saisonanstellungen ihres Partners. Doch dieser Sommer ist anders. Adrian Gschwend hält sich im Rheintal auf, beschäftigt mit Einsätzen in der Schreinerei und mit Lastwagenfahrten. Sein Arbeitskollege von der Alp Stätz erhielt ein verlockendes Jobangebot und verzichtete auf den Alpsommer. Ohne ihn wollte sich Adrian Gschwend nicht verpflichten.Er schaute sich um nach einer Rinderalp und überlegte, ob er sich bei Alpofon melden soll, einer Organisation, die bei Personalausfällen auf Alpen Ersatz vermittelt. Etwas Passendes ergab sich nicht.Nächstes Jahr wieder, sagte sich Adrian Gschwend. Es sei wie ein Fieber. «Wenn du mal z’Alp warst, willst du immer wieder gehen.»

Abo Aktion schliessen
News aus der Region?

Alle Geschichten, alle Bilder

... für nur 12 Franken im Monat oder 132 Franken im Jahr.