12.09.2020

Vom Abriss bedroht und von freien Theatergruppen entdeckt

Von Christina Genova, Bettina Kugler
aktualisiert am 03.11.2022
Geschichte 1911 war die Lokremise fertig gebaut. Das grösste noch existierende Ringdepot der Schweiz bot bis zu 21 Dampflokomotiven Platz. 1988 waren längst andere Zeiten angebrochen und dem ungenutzten Depot drohte der Abriss – zeitweilig plante die Post dort ein neues Paketzentrum. Es waren freie Theatergruppen, welche die leerstehende Lokremise für eine erste kulturelle Nutzung erschlossen: 1992 zeigte Open Opera dort «Jeanne d’Arc» von Arthur Honegger, 1994 die Theatergruppe Pupille «Clockwork Orange». 1997 wurde die IG Kulturremise gegründet, welche eine kulturelle Nutzung der Lokremise verlangte. Doch erst die von Ostschweizern gegründete und heute international tätige Galerie Hauser & Wirth brachte das Potenzial des ehemaligen Lokdepots als Kulturort so richtig zum Vorschein. Sie zeigte dort ab 1999 weit herum beachtete Ausstellungen von international renommierten Künstlern wie Paul McCarthy, Roman Signer oder Jason Rhoades. Doch schon im Herbst 2004 zog Hauser & Wirth wieder aus mit der Begründung, die räumlichen und klimatischen Bedingungen hätten sich als nicht ideal erwiesen.Stracks meldete das Theater St. Gallen sein Interesse an einer Nutzung des Industriedenkmals an. Philipp Egli, zwischen 2001 und 2009 Leiter der Sparte Tanz am Theater St. Gallen, wollte seine Kompanie öfter zeigen, als es die Auslastungskalkulationen des Grossen Hauses erlaubten. Schon im November 2004 kam es in der Lokremise zur Tanzproduktion «Schlafende Hunde wecken». Da stiegen Tänzerinnen und Tänzer in warmen Mänteln durchs Fenster, schälten sich wie Hausbesetzer aus Schlafsäcken am Boden: Die Faszination aller Beteiligten am Spielort Lokremise, seiner Architektur und urban bewegten Kulisse war geweckt. Dass auch die anderen Sparten hier Fuss fassen wollten, liegt nahe. 2005 mietete das Theater von den SBB die Hälfte des Rundbaus. Im Provisorium folgten Stücke wie Becketts «Warten auf Godot» oder die Opern-Uraufführung «Night.Shift» von John Wolf Brennan und mehrere Tanzstücke, lustvolle Experimente, bei denen oft warme Kleidung nötig war. Der rohe Charme des Gebäudes machte es wett. Für das heutige Kulturzentrum wurden die Weichen am 30. November 2008 gestellt: Nach einer Zitterpartie im Vorfeld sagte das Stimmvolk des Kantons St. Gallen mit 57,8 Prozent recht deutlich Ja zu den 22,6 Millionen Franken für den Kauf und die Umnutzung der Lokremise zum Kulturort. Christina Genova, Bettina Kugler

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