19.02.2020

Viele verdünnte Gifte im Wasser

Kantonsrat: Pestizide gelangen in die Bäche und ins Grundwasser. Meinrad Gschwend sorgt sich ums Trinkwasser.

Von Max Tinner
aktualisiert am 03.11.2022
«Wir haben ein akutes Problem», hat der Altstätter Grüne Meinrad Gschwend in einem Vorstoss im November gewarnt. Gschwend bezieht sich auf einen Bericht der Eidgenössischen Anstalt für Wasserversorgung, Abwasserreinigung und Gewässerschutz (Eawag) vom April 2019 über die Belastung von Gewässern mit Pflanzenschutzmitteln. An manchen Messstellen waren die Grenzwerte für manche Chemikalien demnach massiv überschritten.Problematisch, so Gschwend, sei dies nicht nur, weil die Chemie die Wasserlebewesen chronisch schädigen oder gar zum Aussterben mancher Arten führen könne. Weil vielerorts das Trinkwasser aus Grundwasser gewonnen werde, sei auch der Mensch betroffen. Die Grundwasserbeobachtung von Bund und Kantonen zeige, dass Rückstände von Pflanzenschutzmitteln die Grundwasserqualität dauerhaft beeinträchtigen, weil sie nur schwer oder gar nicht abbaubar seien. Die Regierung relativiert. Das Trinkwasser sei im Kanton St. Gallen nicht besorgniserregend mit Pestizidrückständen belastet. Lediglich von zwei Grundwasserfassungen wisse man, dass die Grenzwerte zeitweise überschritten seien, hält sie in ihrer Antwort fest. Um welche Grundwasserfassungen es sich handelt, sagt die Regierung nicht. Sie beruft sich auf das Lebensmittelgesetz des Bundes und die ihr darin auferlegte Schweigepflicht. Das Wasser aus diesen beiden Fassungen gelange aber nicht direkt zu den Abnehmern, sondern zusammen mit dem Wasser aus anderen Fassungen. Die fraglichen Stoffe seien deshalb dermassen verdünnt, dass die Höchstwerte an den Wasserhahnen nicht überschritten würden. Massnahmen, um zu verhindern, dass weitere Schadstoffe in diese beiden Fassungen gelangen, seien getroffen worden.Auch generell sieht die Regierung die zulässigen Grenzwerte im Grundwasser nicht überschritten. Das heisst aber nicht, dass es gar nicht belastet wäre. Der Kanton unterhält ein Netz aus 64 Messstellen, hinzu kommen drei Messstellen des Bundes. Gemessen würden verschiedene Stoffgruppen. Pflanzenschutzmittel allerdings nicht jedes Jahr, schränkt die Regierung ein. In einer fünfjährigen Messreihe konnten dennoch an 44 Messstellen 22 Stoffe nachgewiesen werden. Vorwiegend waren es Herbizide und daraus entstehende Substanzen. Meistens die Bauern, aber nicht nurQuelle der Pflanzenschutzmittel ist meist die Landwirtschaft. Es sind aber nicht die Bauern allein, die solche Chemikalien einsetzen, hält die Regierung fest. Auch der Strassenunterhalt und Private, die solche Stoffe im Garten einsetzen, werden als Urheber vermutet. Manche der Stoffe werden auch als Biozide in Fassadenfarben und -verputzen verwendet. Auch aus Kläranlagen gelangten teilweise Pflanzenschutzmittel in die Gewässer, zählt die Regierung auf.Wenig problematisch ist laut Regierung die Pestizidbelastung in Flüssen. Auch hier findet man zwar Verunreinigungen. Die Pflanzenschutzmittel fielen aber weniger ins Gewicht. Wesentlich konzentrierter seien hier Verunreinigungen aus Industrie und Haushalten. Genannt werden Medikamentenrückstände, Korrosionsschutzmittel, Süssstoffe und Kontrastmittel. Um die Bäche steht es schlecht – auch im RheintalWesentlich höher ist die Belastung mit Pflanzenschutzmitteln hingegen in kleineren Fliessgewässern, sprich Bächen. Bei einer Untersuchung im Jahr 2018 an fünf Bächen konnten zwischen 50 und 70 Stoffe nachgewiesen werden, die in vier Bächen sogar in einer Konzentration gemessen wurden, die bereits bei kurzfristiger Belastung problematisch ist.Derzeit werden an rund 20 Messstellen an mittleren und grösseren Fliessgewässern monatlich Proben auf Nährstoffe geprüft, um die langfristige Entwicklung zu verfolgen. Sechs Gewässer werden zudem permanent auf Mikroverunreinigungen überwacht, davon befinden sich vier im Rheintal: das Äächeli in Au (das während einer Messkampagne des Kantons im Jahr 2018 besonders schlecht abgeschnitten hat), der Alte Rhein (St. Margrethen, Rheineck, Thal), der Mittlere Seegraben (Oberriet, Balgach) und der Zapfenbach (Oberriet). In jährlichen Kampagnen würden fünf weitere Bäche vom Frühling bis in den Herbst untersucht.Beunruhigend mag in der Sache die überraschend grosse Zahl an Stoffen sein, die man im Wasser findet. Und laufend entdecke die Forschung neue, bislang nicht bekannte Abbauprodukte – deren Schädlichkeit sei meist unklar, toxikologische Daten lägen oft erst Jahre später vor, hält die Regierung fest. Die Risikobewertung macht nicht der Kanton, sondern der Bund. Dieser schreibe auch vor, dass das Grundwasser auf rund 70 Substanzen zu prüfen sei. «Damit werden etwa 80 Prozent des vermuteten ökotoxikologischen Risikos abgedeckt», schreibt die Regierung. Der Kanton St. Gallen gehe noch weiter und untersuche das Grundwasser auf insgesamt 120 Substanzen, wovon über 70 Pestizide sowie einige Abbauprodukte. Meinrad Gschwend wollte von der Regierung natürlich auch wissen, was gegen den Pestizideintrag ins Wasser unternommen wird. Diese verweist auf den Aktionsplan Pflanzenschutzmittel mit nicht weniger als 50 Massnahmen. Der Kanton St. Gallen setzt im Besondern auf Beratung sowie auf Kontrollen der Pufferzonen und die Kürzung von Direktzahlungen bei Verstössen.Grenzwerte müssen herabgesetzt werdenAuf Gschwends Frage, wie die Bedenklichkeit von Pflanzenschutzmitteln im Wasser eingeschätzt wird, selbst wenn die Grenzwerte nicht überschritten werden, zeigt sich die Regierung alarmiert. Sie teile die Ansicht der Eawag, dass die Grenzwerte für manche besonders giftige Pflanzenschutzmittel zu hoch angesetzt sind, schreibt sie in ihrer Antwort. Sie geht von einer erheblichen Gefährdung der Wasserlebewesen aus und befürwortet deshalb die geplante Änderung der Gewässerschutzverordnung.

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