«Stadler geht trotz Coronakrise gestärkt ins zweite Halbjahr»: So betitelt der Schienenfahrzeugbauer, der in St.Margrethen eben erst ein grosses Werk in Betrieb genommen hat, seine Mitteilung zum Rückblick auf das erste Semester und zum Ausblick auf den Rest des Jahres. Allerdings belegen die Angaben auch, dass sich laufende Probleme in den vergangenen Monaten teils noch akzentuiert haben.Die laut Stadler guten Botschaften vorweg: Trotz Corona hat Stadler im ersten Halbjahr 2020 keinen Nachfrageeinbruch erlitten, und es seien keine laufenden Aufträge storniert worden. Es gingen im Gegenteil neue Aufträge im Wert von 3,1 Milliarden Franken ein - gut ein Drittel mehr als in der Vorjahresperiode -, wovon 1,2 Milliarden auf das Geschäft mit Service und Komponenten entfallen. Dieses auszubauen, ist ein strategisches Ziel Stadlers, denn es wirft höhere Margen ab als der Bau von Rollmaterial, und es dient der langfristigen Kundenbindung.Aufträge für mehrere Jahre in den BüchernMit diesem relativ hohen Auftragseingang ist der Auftragsbestand Stadlers gegenüber Ende 2019 um weitere 12 Prozent gestiegen, von 15 Milliarden auf rekordhohe 16,8 Milliarden Franken.Diesen fristgerecht abzuarbeiten, ist eine Herausforderung, und Stadler hat bereits vor einem halben Jahr darauf hingewiesen, dass die viele Arbeit mit der Rekrutierung vieler neuer Arbeitskräfte einher geht, deren Einarbeitung da und dort aber nicht reibungslos verläuft, was wiederum zu Verzögerungen bei der Abwicklung einzelner Aufträge geführt habe. Der Konzern beschäftigt mittlerweile über 12'150 Mitarbeitende, fast 1700 mehr als vor Jahresfrist.Hackerangriff offensichtlich gut verkraftetEine weitere gute Nachricht: Der Angriff mutmasslicher Cyberkrimineller auf das IT-Netzwerk von Stadler im Mai mit Schadsoftware hat offensichtlich keine nachhaltigen Schäden angerichtet. Wie Stadler schreibt, habe man «kurzzeitige operative Einschränkungen schnell überwunden, und die betroffenen Systeme konnten sehr rasch wieder hochgefahren werden». Dies dank vollständiger und funktionsfähiger Backup-Daten und eines grossen Einsatzes des IT-Teams.Die Hacker haben von Stadler sechs Millionen Dollar in Bitcoin gefordert und ihrer Erpressung mit zweimaliger Veröffentlichung gestohlener Daten Nachdruck zu verleihen versucht. Diese Daten scheinen allerdings nicht sonderlich spektakulär zu sein. Stadler hatte Ende Mai verlauten lassen, man werde sich der Erpressung keinesfalls beugen. Aus zuverlässiger Quelle verlautet, für kommende Woche habe Stadler Spezialisten diverser Versicherungen an den Hauptsitz in Bussnang eingeladen. Thema: Diskussion über den Abschluss einer Cyberversicherung.Sand im GetriebeIm Gegensatz zum sprudelnden Auftragseingang und den fetten Auftragsbüchern hat Corona Umsatz, Profitabilität und Cashflow der Firmengruppe im ersten Semester arg zugesetzt. Es kam insbesondere zu Unterbrüchen in den Lieferketten sowie zu Reisebeschränkungen für Mitarbeiter, Kunden und Zulassungsbehörden, wie Stadler schreibt. Insgesamt waren von 148 laufenden Aufträgen im Volumen von gut drei Milliarden Franken deren 20 von Verzögerungen in der Zulieferindustrie betroffen.Zudem sind die Umsätze mit Service und Komponenten zwar gestiegen, doch wegen stark ausgedünnter Fahrpläne der Bahngesellschaften weniger als erwartet. Hinzu kam, dass Stadler das spanische Werk Valencia auf Geheiss der Behörden für drei Wochen schliessen musste und die Produktionskapazität im US-Werk in Salt Lake City massiv reduziert worden sei.Ein halbes Prozent MargeAls Folge sank der Semesterumsatz im Vorjahresvergleich um 16 Prozent auf 936 Millionen Franken. Allerdings sagt der Umsatz eines Semesters bei Stadler angesichts langfristiger Projekte nicht allzu viel aus, und im zweiten Semester liegt der Umsatz üblicherweise doppelt so hoch.
Die Verzögerungen bei der Auftragsabwicklung und die daraus folgenden geringeren Umsätze, die erst später verbucht werden, haben auch auf die Profitabilität gedrückt. Das Betriebsergebnis fiel von 46,9 Millionen auf 5 Millionen Franken, wodurch die operative Marge von 4,2 auf 0,5 Prozent des Umsatzes fiel. Beim Reingewinn verbuchte Stadler einen Rückgang von 27,5 Millionen auf 15,7 Millionen Franken.Im zweiten Semester soll es aufwärts gehenStadler erwartet in der zweiten Jahreshälfte eine starke Erhöhung des Umsatzes und der Profitabilität gegenüber dem ersten Semester. Ein Teil der Verzögerungen in den Zulassungs- und Abnahmeprozessen sollte kompensiert werden können.Falls sich die coronabedingten Einflüsse auf Lieferketten, Zulassungen und Fahrzeugabnahmen stabilisieren, dürfte der Umsatz 2020 leicht unter jenem des Vorjahres (3,2 Milliarden Franken) zu liegen kommen. Ursprünglich hatte Stadler einen Anstieg auf 3,5 Milliarden erwartet. Im Semesterbericht schreibt Stadler aber auch: «Der weitere Einfluss der Coronakrise auf das laufende Geschäftsjahr kann zum jetzigen Zeitpunkt nicht abgeschätzt werden.»Die Marge soll «über 5 Prozent» erreichen. 2019 hatte sie 6,1 Prozent betragen, 2018 noch 7,5 Prozent. Mittelfristig peilt Stadler weiterhin 8 bis 9 Prozent an.Schweigen über die Chefsuche und WeissrusslandEinen Erfolg meldet Stadler in England. Für Greater Anglia konnten alle 58 bestellten Triebzüge des Typs Flirt ausgeliefert und vom Kunden abgenommen werden. Hier hatte es Probleme gegeben mit einem Kamerasystem eines Zulieferers. Nun aber fahren die Züge bereits fahrplanmässig, und bezüglich Verzugsstrafen habe sich Stadler mit dem Kunden geeinigt. Details nennt Stadler nicht.
Auch über die Suche nach einem Nachfolger für den im Mai ausgeschiedenen Konzernchef Thomas Ahlburg äussert sich Stadler im Communiqué nicht. Ebenso nicht zur Lage in Weissrussland, wo Stadler in Minsk ein Werk mit 1500 Beschäftigten unterhält.