14.09.2021

Video: Hier kommt der BöFei nicht durch

Die Bunker am Stoss sollten einem von Osten nahenden Gegner den Durchgang ins Appenzellerland verwehren, von wo aus er ins Mittelland hätte vorstossen können. Heute kann man die einst geheime Einrichtung besichtigen – und erkennen, dass man von aussen kaum die Hälfte sieht.

Von Max Tinner
aktualisiert am 03.11.2022
Bis vor etwas mehr als 20 Jahren wären wir für diese Zeitungsseite wohl vors Militärgericht zitiert und von jenem wohl ziemlich sicher auch  verurteilt worden. Wir hätten nämlich (nebst fast allem, was hier sonst noch folgt) nicht schreiben dürfen, dass die Scheune, an welcher das Gaiserbähnli bergwärts nach der Haltestelle Kreuzstrasse rechts vorbeifährt, in Wirklichkeit gar keine Scheune ist. Fotografieren hätten wir sie auch nicht dürfen. Und in der Zeitung abdrucken schon gar nicht.Wir hätten damit nämlich ein militärisches Geheimnis ausgeplaudert (um das viele Einheimische freilich seit Jahrzehnten wissen). Womit vieles bereits gesagt ist: Die Pseudoscheune ist eine der vielen Bauten in der Schweiz, die nur aussehen wie eine Scheune oder ein Ferienhäuschen, tatsächlich aber mehr oder weniger gut getarnte Bunker an strategisch wichtigen Orten sind.Schon für die Schlacht am Stoss eine SchlüsselstelleStrategisch wichtig ist hier der Stoss, der einem militärischen Gegner – oder, im Jargon altgedienter Soldaten: BöFei (einem bösen Feind) – als Durchgang ins Appenzellerland dienen könnte, von wo er ins Mittelland vorstossen könnte.Das war schon im Mittelalter so: 1405 schlugen die Appenzeller in der Schlacht am Stoss dank einer geschickt angelegten Verteidigungsanlage das Habsburgerheer, das von Altstätten herauf gekommen war – trotz der dreifachen Überzahl und der waffentechnischen Überlegenheit der Angreifer.Gegen ein Fuss- und Reiterheer passte der damalige Wall hier (genau genommen wohl ein wenig weiter oben zur Passhöhe hin) perfekt. «Die Bunkeranlage würde man aus heutiger Sicht aber kaum mehr am selben Standort bauen», sagt Urs Hermann.Der frühere SP-Kantonsrat aus Rebstein ist einer von vielen Freiwilligen des Vereins Festungsmuseum Heldsberg, die die Bunker in Schuss halten. Als früherer Offizier der Armee weiss er um die Schwächen der Sperre Stoss: Die Lage am Hang sei beispielsweise anfällig für Artilleriebeschuss. Und wollte man selbst auf nahende Panzer schiessen, müsste man dies teils frontal tun und könnte damit kaum etwas ausrichten – einen Panzer stoppe man mit Feuer von der Seite.Aus diesen und weiteren Gründen gilt die Anlage sicher schon seit den 1960er-Jahren als veraltet. Und doch: Bis in die 1990er-Jahre hinein sei sie in Betrieb gewesen, übten hier Soldaten in den Bunkern und um sie herum, erzählt Hermann. Als die Anlage dann entmilitarisiert wurde, konnte der Verein Festungsmuseum Heldsberg sie im Jahr 2000 übernehmen.Zuerst waren nur zwei Bunker geplant, am Ende wurden es vierEin Bunker ist kein Bunker: Zum Schutz des einen braucht es stets einen zweiten. Am Stoss hat man deshalb gleichzeitig mit jenem Bunker mit der Scheunenfassade (Stoss Süd) ennet der Bahnlinie einen zweiten (Stoss Nord) gebaut. Das war 1939/40 und geschah in aller Eile. In Hitlerdeutschland sah man nämlich eine ernsthafte Bedrohung, bis dahin zwar vor allem aus Richtung Norden, nach dem Einmarsch der Deutschen 1938 in Österreich aber eben auch aus Osten. Es wurde sogar Baumaterial, das für Verteidigungsbauten im Berner Jura vorgesehen war, ins Rheintal umgeleitet.Schon während der Bauarbeiten von den Deutschen ausspioniertBald nach Fertigstellung erkannte man, dass die beiden Bunker nicht ausreichen würden, um den Passübergang bei einem Angriff zu halten. Der Bunker Warmesberg unter der Stossstrasse und der Bunker Rain oben am Hang hinter der früheren Käserei wurden gebaut, 1941. Und zwar noch eiliger. Urs Hermann nennt Zahlen für den Bunker Warmesberg: 1224 Kubikmeter Beton wurden verbaut und an die 85 Tonnen Armierungseisen – zu bis zu zweieinhalb Meter dicken Wänden.«Sechs Monate, nachdem der Bau des Bunkers Warmesberg bewilligt worden war, wurde er schon schussbereit übergeben», erzählt Urs Hermann. Er zeigt Pläne der Baustelleninstallation. Sie machen deutlich, wie die kurze Bauzeit dank einer durchdachten Baustellenorganisation möglich war. Das dazu gehörende Bauprogramm unterscheidet sich nicht gross von einem modernen Projektplan der heutigen Zeit.Die Lüftungs- und die Armierungspläne der beiden erstgebauten Bunker gerieten übrigens noch während der Bauzeit in feindliche Hände – ein höherer Unteroffizier, der als Bauführer im Baubüro des Militärs in Altstätten arbeitete, übergab Kopien einem Spion der deutschen Wehrmacht. Gegen versprochenes Geld, um das er dann doch geprellt wurde.Reichlich Beton wurde auch für die Panzersperre benötigt, welche die ganze Geländekammer durchschneidet.  Wie lang sie ist – an die anderthalb Kilometer – wird einem erst bewusst, wenn man vom Bunker Warmesberg aus das Auge ihrem Verlauf folgen lässt. Während der Kriegsjahre gab es auch noch jede Menge Stacheldrahtverhaue. Und noch in den 1980er-Jahren baute das Militär 17 Unterstände. «Wenn man hier in der Gegend der Kantonsgrenze beim Wandern an einem Schacht vorbeikommt, ist das nicht unbedingt ein Schacht», meint Urs Hermann dazu.Die Einrichtung ist bis ins Detail ausgeklügeltAuch die vier Bunker dürfte man als Nichteingeweihter unterschätzen. Von aussen wirken sie nicht sonderlich gross. Das sind sie auch nicht. Aber doch grösser, als es den Anschein hat. «So weit sie aus dem Boden ragen, so tief reichen sie auch in ihn hinein», macht Urs Hermann klar. Denn nebst der Gefechtseinrichtung brauchte ein Bunker auch Unterkunftsräume und die liegen unter ersterer. Die Ausstattung hat der Verein Festungsmuseum Heldsberg weitestgehend belassen oder wieder um originale Ausrüstungsgegenstände ergänzt, soweit dies möglich war. Die Bunkerwaffen sind zwar funktionsuntüchtig gemacht worden, aber zum Teil noch drin. Eindrücklich auch die Belüftungsanlage, die Kommunikationseinrichtung, die Wasserversorgung und Abwasser- und Fäkalienableitung – alles so ausgeklügelt, dass es zu keinem Schwachpunkt wurde, der den Bunker angreifbar gemacht hätte.Weitere Quellen: Boari, Benito: «Die Sperre am Stoss: Ein Festungswerk hat ausgedient», Unser Rheintal 58 (2001) | Stähli, Alois: «Von der Letzi zur Panzersperre», Rheintalische Volkszeitung 26.5.2005 | Militärische Denkmäler in den Kantonen Glaurs, Appenzell Inner- und Ausserrhoden und St. Gallen, Inventar der Kampf- und Führungsbauten, Eidg. Dept. für Verteidigung, Bevölkerungsschutz und Sport, 2006Besichtigung diesen Samstag möglichDer Verein Festungsmuseum Heldsberg zeigt Interessierten die vier Bunker der Sperre Stoss gerne auch von innen. Gruppenführungen sind das ganze Jahr über nach Anmeldung möglich. Einzelbesucher haben grad am kommenden Samstag, 18. September, am jährlichen Stoss-Tag Gelegenheit dazu. Führungen gibt es um 10.15 Uhr, 13.15 Uhr und 15.15 Uhr. Treffpunkt ist neben dem Bahnübergang Kreuzstrasse. Weil nur wenige Parkplätze zur Verfügung stehen, wird die Anreise mit der Gaiserbahn empfohlen, die dort hält.Wegen der engen Platzverhältnisse in den Bunkern ist die Besucherzahl begrenzt. Es ist darum eine Anmeldung nötig bis heute Mittwochabend per E-Mail an info@festung.ch oder telefonisch auf 071 733 40 31. Wegen der aktuellen Weisungen des Bundesrats ist ausserdem ein 3G-Covid-Zertifikat zusammen mit einem amtlichen Ausweis erforderlich.

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