Mit einem grossen Besen wischt Daniela Steiger den breiten und langen Gang des Kuhstalls. Das heftige Gewitter am Nachmittag hat ihn unter Wasser gesetzt. Den jungen Kälbern ist der starke Regen nicht geheuer. Sie suchen Schutz hinter der Stalltür. Während die dicken Tropfen auf das Dach prasseln, wird in einer anderen Stallecke ein Stier geboren. Er ist noch nicht einmal eine halbe Stunde alt, da versucht er, aus der Box auszubüxen. Daniela Steiger hält ihn auf und bringt ihn zur Mutter zurück. Er hat Hunger und sucht auf wackeligen Beinen nach Milch. Die Zitzen findet das Kalb nicht, es saugt am Euter. Doch das Baby muss nicht länger suchen, schon bekommt es Muttermilch aus der Flasche.Die Kühe standen neben dem FestzeltDie Stelle in der Betriebsgemeinschaft für Milchwirtschaft, Obst- und Ackerbau in Oberaach bei Amriswil ist Daniela Steigers erste, nachdem sie vor einem Jahr die Ausbildung zur Landwirtin als Jahrgangsbeste abgeschlossen hatte. Die 22-Jährige wuchs in Heerbrugg auf und absolvierte ihre Ausbildung im Altersheim Fahr in St. Margrethen. Diese war eine Kochlehre. Die Idee, Landwirtin zu werden, kam ihr an einem Tag der offenen Tür in Heerbrugg. Mitten im Dorf standen neben dem Festzelt Kühe. Auf einmal verspürte die junge Frau den Wunsch, eine zweite Ausbildung zu absolvieren. «Meine Eltern führen zwar keinen Hof, aber als Kind habe ich meiner Oma oft beim Heuen geholfen», sagt Daniela Steiger. Ein halbes Jahr später war sie Landwirtin in Ausbildung. Die Zweitlehre war auf zwei Jahre verkürzt.Anfangs wollte die Lernende nur bestehen. «Ich hatte kein Vorwissen und musste bei null anfangen.» Sie lernte schnell und es lief gut in der Schule. Bald packte sie der Ehrgeiz.«Ich habe nie gezweifelt, dass ich den richtigen Weg eingeschlagen habe.» In einer Küche möchte Daniela Steiger nicht mehr arbeiten. «Als Köchin war ich auf die vier Wän-de beschränkt. Auf dem Hof bin ich frei.» Sie unterstehe keinem Zeitplan mehr, nachdem das Essen fertig zu sein habe. Sie schätzt es, Handwerkerin zu sein und kennt sich immer besser mit Maschinen, Pflanzen, Tieren und Böden aus.Ein wenig stört es die Landwirtin, dass sie mit dem Klischee einer Bäuerin in Verbindung gebracht wird. «Die bin ich nicht», sagt sie. «Eine Bäuerin ist die Frau in Haus und Garten. Im Stall ist sie nicht. Ich bin die Handwerkerin.»Martin Koster ist überzeugt, dass Daniela Steiger im richtigen Beruf arbeitet. Er schätzt es, wie sie ihre Fertigkeiten aus dem Erstberuf einbringt. Martin Koster und sein Vater betrei-ben den Hof als Generationengemeinschaft. Sie teilen sich die Verantwortung für den Betrieb mit etwa 170 Milchkühen und 30 Masttieren sowie 300 Hochstammobstbäumen in zwei Gärten.[caption_left: Seit September letzten Jahres arbeitet Daniela Steiger als Landwirtin auf dem Hof in Oberaach bei Amriswil.]Daniela Steiger ist vollwertiges Teammitglied und trägt Verantwortung für fixe Aufgaben. Sie ist zum Beispiel dafür zuständig, dass alle Tiere registriert und korrekt in der Datenbank geführt werden. «Ich entscheide, welche Namen die Kälber bekommen», sagt sie. Diese vermerkt sie mit Geburtsdaten und Namen der Eltern auf den Ohrmarken. Daniela Steiger wird sich wohl immer daran erinnern, als sie Alegra die Marke am Ohr befestigte. Das Kalb wurde an ihrem Geburtstag geboren. Es war ihr erstes Wiegenfest als Landwirtin.[caption_left: An Daniela Steigers 22. Geburtstag ist das Kalb geboren. Sie hat ihm den Namen Alegra gegeben.]Trifft man Daniela Steiger nicht im Stall an, könnte sie sich in den Obstgärten aufhalten. Dort setzt sie ein eigenes Projekt um und schafft zusätzlichen Lebensraum für Vögel und Insekten. Zum Beispiel hängt sie Vogelhäuschen und Greifvogelstangen auf. Das Holz, aus dem Daniela Steiger ein grosses Insektenhotel bauen wird, liegt noch zum Trocknen im Heizungsraum. Das errichtet sie nächstes Jahr am Rand eines Obstgartens, legt drumherum eine Blumenwiese an und pflanzt Weiden. «Dort kommen viele Passanten vorbei. Ich möchte ihnen zeigen, dass uns die Natur nicht egal ist.»Ein Traum vom eigenen FamilienbetriebDaniela Steiger ist glücklich. «Ich habe den richtigen Beruf und die richtige Stelle gefunden», sagt sie. Ihre Chefs lassen sie eigenständig arbeiten. «Ich kann aber immer fragen, wenn ich nicht weiter weiss.» Schon im Lehrbetrieb und heute in Oberaach hat man ihr gesagt, dass sie ein Gespür für Tiere habe. «Ich merke, wenn es einem Tier nicht gut geht.» Meist weiss sie, was ihm fehlt. Oder sie sucht so lange, bis sie den Grund herausgefunden hat und ihm helfen kann. «Ich kann ja nicht jeden Tag den Tierarzt rufen.»Es ist selten, dass eine Landwirtin als Angestellte und nicht auf dem Betrieb der Eltern oder des Mannes arbeitet. «Ich habe den Traum und sogar das Ziel, einmal einen eigenen Betrieb zu führen», sagt sie. Einen Hof zum Marktwert kaufen zu können, liegt weit entfernt. «Ich suche einen Mann, mit dem ich einen Familienbetrieb gründen könnte.» Daniela Steiger weiss auch schon, dass auf diesem Hof Mutterkühe, Schafe, Lamas, Geissen und Esel leben sollen. «Ich stelle mir einen Streichelzoo oder eine Spielgruppe auf dem Bauernhof vor.»