19.08.2022

Video: Für ihre Freunde, die Schafe, tun sie alles

Der Rüthner Urs Heeb hat zwei Herdenschutzhunde. Sun und Bexter beschützen diesen Sommer auf der Alp Säss 1000 Schafe vor Wölfen.

Von Alexandra Gächter
aktualisiert am 02.11.2022
Als es von weit her bellt, ist nirgends etwas zu sehen. Kein Hund, kein Schaf und schon gar kein Wolf. Nur einzelne Tannen, die im steilen Alp­gelände wachsen, sind zu erkennen. Auf rund 1700 Metern über Meer liegt die Alp und über ihr, da ragen mächtige Felswände in die Höhe. Rechts jene der Kreuzberge, links die des Gulmen. Direkt vor der Nasenspitze thront der Gätterifirst. Klein liegt das Werdenberg ihm zu Füssen. Irgendwo da unten geht der Alltag vonstatten. Hier auf der Alp Säss in Gams ist die Welt eine andere, das Leben gleichsam schön wie hart. Erneut bellt es, und schnell wird klar, es muss einer der Herdenschutzhunde sein. Bereits von weit her hat er die Gruppe wahrgenommen, die sich ihm nähert: Alpchef Niklaus Lenherr, Hundebesitzer Urs Heeb und Hirt Mali von Soden. Die drei nehmen einen Augenschein vor Ort. Als sie die dichten Tannen hinter sich lassen, schimmert das weisse Fell des grossen Hundes in der Sonne. Es ist Bexter, ein dreijähriger Rüde. «Er freut sich, uns zu sehen», sagt Urs Heeb. Er muss es wissen: Dem Rüthner gehört der Hund. Die letzten gut hundert Meter zur Schafherde werden sie von Bexter begleitet. Etwas Misstrauen mischt sich unter die Wiedersehensfreude des Hundes – schliesslich ist da noch jemand Fremdes dabei. Seine Körpersprache verrät: Unbekannte lässt er nicht zu nah an sich ran. Für Wanderer ist das Gebiet Ende Mai bis September denn auch gesperrt. Nicht alle bringen für diese Massnahme Verständnis auf. «Wir können kein Risiko eingehen», erklärt Niklaus Lenherr. «Menschen könnten sich falsch verhalten oder gar einen Hund mit sich führen.» Würde ein Hund bellend einem Schaf hinterherrennen, gefiele das den Herdenschutzhunden gar nicht. «Sie beschützen die Schafe. Ob vor Hund oder Wolf spielt keine Rolle», sagt Urs Heeb. Die Hirtenschutzhunde kennen nur einen BefehlZuoberst auf der Alp angekommen, ist nun auch Sun erkennbar, Bexters Schwester. Sie stellt sich schützend vor die Schaf­herde und weicht ihr nicht von der Seite. Auch nicht, als sie den Hirten Mali von Soden sieht. Er, der den Hunden jeden Tag das Futter auf die Alp bringt, ist jetzt zweitrangig. Der Schutz der Herde geht vor. Die Hunde teilen sich ihre Arbeit perfekt auf. Sun ist jene, die immer bei den Schafen bleibt; Bexter erkundet das Gelände und schreitet bei Gefahr ein. «Wenn es sein muss, würde er gegen einen Wolf kämpfen – vielleicht bis zum bitteren Ende», sagt Urs Heeb. Für den Schutz der Schafe würden die Hunde alles tun. So kennen die beiden Hunde denn auch nur einen Befehl: «Ferma!», was «zu den Schafen!» bedeutet.[caption_left:Nase an Nase: Herdenschutzhündin Sun bekundet mit dieser Geste ihre Freundschaft zu den Schafen. ]Bexter wurde mit Absicht nicht kastriert, damit er «feurig» bleibt. Als Besitzer Urs Heeb seinen Hund kurz darauf streichelt, ist von Aggressivität nichts zu spüren. Im Gegenteil, Bexter lässt sich von ihm kraulen wie ein Schosshund. «Sie brauchen Zuwendung und mögen Streicheleinheiten», weiss Heeb. Hier auf der Alp übernimmt Hirt Mali von Soden diese Aufgabe. Würde sich den ganzen Alpsommer kein Mensch um die Hunde kümmern, wären sie im Herbst ziemlich verwildert und müssten erneut an den Menschen gewöhnt werden.  Sun und Bexter sind die ersten Herdenschutzhunde, die auf einer Werdenberger Alp im Einsatz stehen. Die Ortsgemeinde Gams, welche die Alp Säss besitzt und bewirtschaftet, hat weder Zeit noch Aufwand gescheut, um die Hunde zu erwerben. Eineinhalb Jahre dauerte der Prozess. Erst besichtigte ein Herdenschutzbeauftragter die Alp, dann wurde ein Zuhause für die Hunde gesucht – schliesslich benötigen sie von September bis Mai eine Bleibe im Tal. Die Ortsgemeinde fand sie beim Schafbauer Urs Heeb in Rüthi. [caption_left: Hundebesitzer Urs Heeb sagt: «Wenn es sein muss, würde Bexter gegen einen Wolf kämpfen.]Bevor Sun und Bexter in ihr neues Zuhause ziehen konnten, wurde der Hof von Urs Heeb ebenfalls behördlich geprüft – er selbst musste einen Herdenschutzhundekurs absolvieren. Von September bis Mai leben die beiden Hunde nun Tag und Nacht zusammen mit Heebs 200 Schafen auf dem Hof. Das ist nichts Aussergewöhnliches, schliesslich wurden die Hunde direkt in eine Schafherde hineingeboren. Der Winter im Tal ist für die Herdenschutzhunde eher langweilig. «Wenn sie keine Aufgabe haben, entwickeln sie Flausen. Das benötigt Nerven», so Urs Heeb. Hier auf der Alp hingegen blühen die Hunde auf. 1000 Schafe von knapp 20 verschiedenen Bauern aus dem Rheintal, Werdenberg, Liechtenstein und Sarganserland gilt es zu beschützen. Eine wichtige Aufgabe kommt auch den Schafen zu: Weil sie das Gras fressen, haftet der Schnee im Winter besser am Hang, was für einen natürlichen Lawinenschutz sorgt. So wie das Schaf also dem Menschen hilft, so möchte auch Alpchef Niklaus Lenherr den Schafen helfen. Es braucht beides: Zäune und HerdenschutzhundeLenherr ist bewusst, dass selbst Herdenschutzhunde die Schafe nicht zu 100 Prozent schützen können.[caption_left:Alpchef Niklaus Lenherr aus Gams:«Die Präsenz der Hunde hält einzelne Wölfe ab, anzugreifen.»]«Zwar hält nur schon die Präsenz der Hunde einzelne Wölfe ab», sagt Lenherr. Denn Wölfe riechen, dass Bexter hier sein «Revier» markiert hat. Jedoch kämen die Hunde an ihre Grenzen, sollte ein ganzes Rudel angreifen. Für solch einen Fall reichten zwei Herdenschutzhunde nicht aus. Auf der Alp Säss dient deshalb ein zwei Kilometer langer Zaun als zusätzlicher Schutz. 110 Zentimeter – und somit 20 Zentimeter höher als übliche Schafzäune – misst dieser. Der Aufwand, welcher dafür in Kauf genommen wird, ist beachtlich. Dreimal pro Alpsaison muss der Zaun auf- und abgebaut werden. Trotzdem möchte Niklaus Lenherr nicht auf diesen zusätzlichen Schutz verzichten. Er ist darauf angewiesen, dass die Schafbauern ihm seine Tiere anvertrauen. Was solle er denn sonst mit einer Schafalp machen? Die Alp Säss, auch Gamser Schafberg genannt, ist für Rinder viel zu steil. Als kühler Wind aufkommt, setzt sich die Schafherde lautstark in Bewegung. Lämmer rufen ihren Müttern, Mütter ihren Lämmern. Die Hunde begleiten sie freudig. Am neuen Fressplatz kommen die Schafe zur Ruhe, strecken ihre Mäuler ins Alpgras und kauen zufrieden. Während Bexter kurz eine Runde dreht und sich dann hinlegt, bleibt Sun bei den Schafen stehen. Sanft drückt sie ihre Nase auf die eines Schafes und bekundet so ihre Freundschaft. Es ist einer der Momente, die vergessen lassen, dass hier auf der Alp auch Gefahren lauern.

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