29.07.2021

Video: Der Herr der Klinge

Felix Immler aus St. Margrethen ist Taschenmesserpädagoge. Kinder erwerben bei ihm den Sackmesserführerschein.

Von Monika von der Linden
aktualisiert am 03.11.2022
Felix Immler sitzt an einem Grillplatz oberhalb des Pfadiheims von St. Margrethen. In der einen Hand hält er den Ast eines Haselstrauchs, in der anderen ein Sackmesser. Ein paar Mal setzt er die Klinge an – und schon ist die Gabel fertig. Mit ihr könnte er eine Bratwurst aufpicken oder mitgebrachten Kartoffelsalat essen.Solch eine Szene spielt sich dieser Tage sicher überall im Land ab. Immer dort, wo Kindergruppen oder Familien eine Rast in der Natur einlegen, leistet ein Sackmesser gute Dienste.Felix Immler hat viele Ideen, wie er eines der ältesten und bedeutendsten Werkzeuge der Menschheit geübt einsetzt. Er gibt sein Wissen in Kursen an Kinder und ihre Eltern weiter. Der St. Margrether Vater dreier Kinder ist seit sieben Jahren Taschenmesserpädagoge.Über das Messer finden Kinder zur NaturDie Geschichte fing an, als Felix Immler in einem Kinderheim arbeitete. «Die Kinder hatten grossartige Ideen, um sich zu beschäftigen», sagt er. Meist wollten sie ins Kino, Bowling spielen oder Kebab essen gehen. «Das kostet alles viel Geld.» Also ging der frühere Pfadileiter mit ihnen in den Wald, die meisten kamen eher widerwillig mit. Aber, sobald Felix Immler ein Messer in der Hand hielt und eine Wurstpackung aufschnitt oder eine Schnur kürzte, umringten ihn die Kinder. Das Messer wirkte wie ein Magnet und zog sie an. «Ich nahm das Messer als Anknüpfungspunkt, damit sie gern mit mir in die Natur kommen.» Die Lust war geweckt. Die Heimkinder wussten, wenn sie mit Felix Immler in den Wald gingen, durften sie Pfeile schnitzen oder Wasserräder bauen.Doch so unbeschwert wie seine Schützlinge, war der Naturpädagoge nicht immer. Sobald mehrere Kinder mit einem Sackmesser hantierten, spannte er sich an. Er hatte Angst, dass etwas passieren könnte und schimpfte recht viel.Als ihn ein Kind darauf ansprach, gab ihm das zu den-ken, und er erzählte seiner Frau davon. Sie nannte ihn einen «schlechten Pädagogen», hatte aber auch eine Lösung parat: «Sie riet mir, ich solle mit den Kindern die Grundlagen im Umgang mit dem Sackmesser erarbeiten und sie einen Sackmesserführerschein machen lassen.»Vom Natur- zum TaschenmesserpädagogenDie Idee stellte sein Leben auf den Kopf. Der Naturpädagoge erarbeitete ein Konzept und testete es mit den Kindern seiner früheren Pfadiabteilung. «Sie waren stolz, diplomierte Sackmesserexperten zu sein.» Bald stand das Telefon nicht mehr still und der Erfolg wuchs. Zunächst reduzierte Immler sein Pensum im Kinderheim, bald machte er sich selbstständig und wurde der wahrscheinlich erste hauptberufliche Taschenmesserpädagoge der Welt. Als es fast so aussah, als ob Immler zum Hobby zurückkehren müsste – aus finanziellen Gründen – bekam Victorinox Wind vom Projekt. Der Sackmesserproduzent aus dem Kanton Schwyz übernahm ihn als Mitarbeiter. Seither ist er im Rahmen des Marketingbudgets der Messerschmiede als Taschenmesserpädagoge angestellt. Heute sind ausser ihm 13 Freelancer im ganzen Land unterwegs und geben Kurse. An ihnen nehmen auch Eltern teil, die zum Beispiel selbst keine Erfahrung mit Messern oder Angst um ihre Kinder haben. «Ich will ihnen Sicherheit geben und biete einen guten Rahmen, um zu lernen, wie man mit Messern umgeht.» Felix Immler möchte den Eltern und Kindern auch ermöglichen, eine intensive Beziehungszeit zu erfahren. Das Kind hat die Idee und die Familie verfolgt ein Ziel. «Alle handeln gemeinsam und erleben den schönsten Erfolg, sobald das Wasserrad läuft.»Schnitzen lernen ist ein Prozess, wie das Velofahren üben. Wer einen dreistündigen Kurs absolviert hat, sammelt erst danach Erfahrung. Mit der Routine kommt die Freude. Hat man erst einmal einen Pfeilbogen, Wanderstock oder Bratstecken geschnitzt, wagt man sich gern an etwas Schwierigeres heran.Felix Immler hat an die 200 Projekte erarbeitet, drei Bücher geschrieben und unterhält einen Youtube-Kanal. Dort folgen ihm 135 000 Abonnenten. Immer wieder beobachtet er Kinder, die sich einen frischen Haselstecken aussuchen und ihn nur nackt schnitzen. Voller Freude und Stolz nehmen sie ihr Werk mit heim und halten es in Ehren.Ein stumpfes Messer ist wie ein platter ReifenFelix Immler verschweigt nicht, dass sich auch einmal jemand in den Finger schneidet. Ein scharfes Messer zu benutzen, vermindert das Risiko. «Ist ein Messer nur halb scharf, muss man viel Kraft aufwenden. Die Klinge gleitet aus, greift nicht und es passieren Unfälle», sagt der Pädagoge, der als Kind einmal eine Geige baute. «Eine Velotour mit einem platten Hinterreifen bereitet ja auch keinen Spass.»

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