19.12.2019

Vaterglück kennt kein Alter

Schweizer Männer sind bei der Geburt ihres ersten Kindes 35 Jahre alt. Zwei Väter, die weit von diesem Durchschnitt entfernt sind, erzählen.

Von hb
aktualisiert am 03.11.2022
Mit 23 Jahren wurde Sandro Gfrerer aus Au zum ersten Mal Vater. Für ihn war klar, dass er früh Kinder möchte. Unter Kollegen gilt er als «Ausreisser».Was war es für ein Moment, als ihre Freundin sagte: «Ich bin schwanger»? Sandro Gfrerer: Ich freute mich sehr, denn es war gewollt und ich konnte mich darauf vorbereiten. Es war schon immer mein Wunsch, jung Vater zu werden.Weshalb haben Sie diesen Wunsch gespürt? Einerseits bin ich geprägt von meinen Eltern, sie bekamen ebenfalls früh Kinder. Und ich wollte Kinder, solange ich jung bin und die Kraft dazu habe. Je länger man wartet, desto kleiner wird die Wahrscheinlichkeit, dass sich der Kinderwunsch erfüllt. Meine Frau wollte auch nicht warten. Das hat zum Teil mit der Kultur zu tun. Schweizer sind eher vorsichtig, hinterfragend. Meine Frau ist Peruanerin, sie erlebte es anders in ihrer Familie. Im Nachhinein war ich sogar der Meinung, es wäre schön gewesen, bereits mit 18 Vater zu werden. Tatsächlich? Ja, denn die Geburt des ersten Kindes verändert das Leben komplett. Alles macht plötzlich mehr Sinn. Ich erlebte ein unbeschreibliches Glück. Man muss Verantwortung übernehmen, aber das sehe ich als Motivation. Wäre es bereits während der Lehre finanziell möglich gewesen, hätte ich nicht gezögert. Doch ich schloss zuerst meine Ausbildung ab, bevor die Familienplanung konkret wurde.Haben Sie ihre Jugend genug ausgelebt? Während der Lehre habe ich an Wochenenden in der Gastronomie hinter der Bar gearbeitet und das Partyleben ausgekostet. Grundsätzlich bin ich eher der zurückhaltende Typ, auch bei Alkohol.Um eine Familie zu gründen, braucht es auch die richtige Partnerin. Die habe ich. Wir knüpften Kontakt über Facebook. Als wir uns zwei Jahre kannten, wurde meine Partnerin schwanger. Einen Monat vor der Geburt unseres Sohnes heirateten wir standesamtlich. Drei Jahre später folgte die Geburt unserer Tochter. Mit diesen zwei gesunden Kindern ist die Familienplanung abgeschlossen. Persönlich würde ich mich bereits zu alt fühlen, noch mal Vater zu werden.Zu alt? Andere in ihrem Alter denken noch nicht mal an Kinder.  Dadurch, dass ich schon seit sechs Jahren mit Kindern lebe, habe ich die intensiven ersten Jahre hinter mir. Sie schlafen in der Nacht und sind in gewissem Mass selbstständig. Nochmal von vorne zu beginnen, kommt für mich nicht in Frage. Die erste Nacht mit dem schreienden Baby war die grösste Umstellung. War es eine Belastungsprobe für ihre Beziehung? Ja. Wenn das Kind da ist, merkt man, ob man wirklich zusammenpasst. Wenn die Eltern nicht am gleichen Strick ziehen, funktioniert es nicht. Bei gewissen Dingen muss man persönlich zurückstecken und als Team vorwärtskommen.Was für ein Familienmodell leben Sie? Meine Frau begann erst dieses Jahr wieder zu arbeiten. Mir war wichtig, dass sie Zeit mit den Kindern verbringen kann. Das wollte ich ihr ermöglichen. Sie hat es sich so gewünscht. Wäre es für Sie in Frage gekommen, selber zu Hause zu bleiben und auf die Kinder zu schauen? Das ist jetzt der Fall. Ich arbeite 50 Prozent und bin in der ersten Tageshälfte für die Kinder da. Mittags kommt meine Frau nach Hause und löst mich ab. Wie reagieren ihre Freunde im Umfeld auf ihr frühes Vaterglück? In meinem engeren Umfeld sind alle noch kinderlos und ledig. Ich bin ein Ausreisser. Wenn ich Kollegen treffe, höre ich manchmal Sprüche wie: «Musst du nicht langsam nach Hause zu den Kindern?» Ich kontere jeweils, dass ich wieder mehr Freiheiten habe, wenn sie mit der Familienplanung anfangen. Wenn unsere Kinder junge Erwachsene sind, möchten meine Frau und ich das Arbeitspensum reduzieren und unsere Interessen in den Fokus stellen.Was gefällt ihnen an Kindern? Alles. Jeder kleine Quatsch, den sie machen. Das Zusammenleben mit den Kindern ist einfach schön. Ich bin froh darüber, wie es ist. Dass es allen gut geht und die Familie gesund ist, hat Priorität.Pio De Martin aus Walzenhausen ist 20 Jahre älter als Sandro Gfrerer und wurde vergleichsweise spät Vater. Bei der Geburt seiner Tochter vor zwei Jahren war Pio De Martin 47 Jahre alt. Sein Kinderwunsch machte sich schon früher bemerkbar, erfüllte sich aber erst mit seiner jetzigen Partnerin, mit der er seit viereinhalb Jahren zusammen ist.Wie haben Sie auf die Schwangerschaft ihrer Partnerin reagiert? Pio De Martin: Wir waren beide etwas überrascht. Aber es war ein schöner Moment. War ihr Alter ein Thema zu jenem Zeitpunkt? Wir sagten uns, wenn es passiert, dann passt es. Das Alter spielte keine Rolle. Meine Partnerin war damals 39 Jahre alt. Dass unsere Tochter gesund zur Welt kam, stand im Vordergrund. Ihre Geburt war ein riesiger Glücksmoment. Und ich war stolz.Aus welchen Gründen haben Sie sich Zeit gelassen, Vater zu werden? Es hat sich nicht ergeben. Ich bin geschieden und eine Familienplanung gab es in der damaligen Beziehung nicht. Zwar hätte ich Kinder gewollt, weil aber andere Prioritäten mein Leben und jenes früherer Partnerinnen bestimmten, fand ich mich mit der kinderlosen Situation ab. Das Thema war abgehakt. Ich wurde Götti von zwei Mädchen und genoss die Zeit mit ihnen. Als es mit einem eigenen Kind klappte, war die Freude umso grösser.Inwiefern stellte die Geburt ihrer Tochter ihr Leben auf den Kopf? Der Lebensmittelpunkt verschiebt sich, das Kind steht im Zentrum. Ich lebe nun mit meiner Partnerin und ihrem Sohn, den sie in die Beziehung brachte, sowie der gemeinsamen Tochter als Patchworkfamilie. Komplett anders wurde die Freizeitgestaltung. Töfftouren zu zweit oder ein Skiweekend gibt es nur noch selten. Wir nehmen uns aber auch als Eltern je einen Abend pro Woche Zeit für eigene Hobbies.Welches ist die grösste Bereicherung, die sie dank ihrer Tochter erleben? Kinder bringen viel Freude ins Haus. Ihre Fortschritte zu beobachten und ihre leuchtenden Augen zu sehen, ist sehr schön. Die kindliche Unbeschwertheit gefällt mir.Wo sehen Sie Vorteile als Vater im reifen Alter? Ich gehe meine Vaterrolle geduldig an, möglicherweise stehe ich eher mit beiden Beinen auf dem Boden als jüngere Väter. Das ist aber auch typenbedingt. Jedenfalls konnte ich bereits viele Freiheiten ausleben. Nachteile sehe ich keine. Was sagten ihre Familie und Freunde zu ihrem späten Vaterglück? Es gab ein paar Sprüche apropos Windeln wechseln, aber die Familie freute sich riesig und ist begeistert von der Kleinen. Die Reaktionen waren durchwegs positiv. Was für ein Familienmodell leben Sie? Meine Partnerin kümmert sich vor allem um die Kinderbetreuung. Wenn sie ihrer Arbeit in einem 50-Prozent-Pensum nachgeht, ist unsere Tochter bei den Grosseltern. Ich bringe mich ein, so gut es geht, nebst der Führung eines eigenen Malereibetriebs.Was ist ihnen wichtig im täglichen Familienleben? Die Zeit, die wir füreinander haben, wollen wir geniessen. Wir pflegen das gemeinsame Mittagessen, wo wir uns austauschen. In der Freizeit unternehmen wir oft Ausflüge in die Natur. Über allem steht der Wunsch, gesund zu bleiben.

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