Traditionelle Alphornweisen haben etwas ausgesprochen Würdevolles an sich. Martin Nauer wird darum gerne an Feiern eingeladen. Zum 1. August, zu Alpgottesdiensten, zu Hochzeiten, aber auch zu Beerdigungen. Wegen des stets getragenen Klangs könnte er dieselbe Melodie sowohl am Traualtar als auch am Grab spielen.«Das habe ich ihnen nie verziehen»Es mag ein Erlebnis in seiner Kindheit gewesen sein, das ihn zu dem begeisterten Alphornbläser werden liess, der er heute ist: Auf dem Bauernhof, den sein Vater und dessen Zwillingsbruder zusammen mit ihren Familien bei Grub bewirtschafteten, hörten die Kinder eines schönen Tages, wie ein paar Männer in der Nähe Alphorn bliesen. Die Kinder liefen begeistert los. Doch als sie oben auf dem Hügel ankamen, packten die Männer bereits zusammen, und sie liessen sich auch nicht dazu bewegen, ihnen zuliebe nochmals auszupacken und ein Stück zum Besten zu geben. «Das habe ich ihnen nie verziehen», sagt Martin Nauer. Er selbst würde das Alphorn wieder auspacken und nicht nur nochmals ein Stück blasen, sondern die Kinder es sogar selbst versuchen lassen.Zwei Jahre Übung brauchts schonLeicht ist das Alphornblasen allerdings nicht, gerade wegen seiner einfachen, ursprünglichen Bauweise ganz ohne Grifflöcher, Klappen oder Ventile. Deswegen lassen sich nur Naturtöne erzeugen. Das Ohr nehme dabei eine Kombination vieler Teiltöne dieser sogenannten Obertonreihe wahr, was den vollen, natürlichen Klang des Alphorns ausmache. «Im Holz des Alphorns schwingt die gesamte Natur mit», sagt Martin Nauer deshalb. Anders als manchem Erwachsenen gelinge es Kindern aber oft gleich einmal, einen Ton herauszubringen – weil sie es unverkrampft angehen. Bis man das Alphorn aber vortragsreif spielen könne, müsse man schon etwa zwei Jahre gewissenhaft üben. «Es ist nicht einfach, die Töne sauber zu treffen, sie in der richtigen Länge zu halten und dann noch zu einer stimmigen Melodie zusammenzufügen», erklärt Martin Nauer.Musikant durch und durchEr selbst hatte womöglich einen Vorteil, als er begann. Das war 1976, nachdem ihm im Berggasthaus Gemsli am Sevelerberg ein altes Alphorn zum Kauf angeboten worden war: Die Musik scheint seiner Familie, die aus der Innerschweiz stammt und von dort in die Ostschweiz «ausgewandert» war, im Blut zu liegen. Die Volksmusiklegende Kari Nauer etwa war ein Onkel Martin Nauers. Er selbst war bereits von Kindsbeinen an Musikant und hat auch gerne mit seinen Brüdern «g’schtegreiflet». In jungen Jahren spielte er im Musikverein von Grub. Später ist er dem Musikverein Harmonie beigetreten, kaum dass er Ende der 1960er-Jahre nach Oberriet gezogen war. Hier hat er dann auch der Bauernkapelle Oberriet neues Leben eingehaucht.Nauers Instrumente waren das Es-Horn, später die Trompete, heute spielt er Tenorhorn. Das seien gute Voraussetzungen für die ersten Gehversuche mit dem Alphorn, sagt er. Zum passionierten Alphornbläser wurde er dennoch erst nach und nach. Einen ersten Kurs belegte er erst 13 Jahre nach dem Kauf seines ersten Alphorns. Ein Kollege bat ihn damals, an seiner Hochzeit ein Ständchen zu geben. Obwohl Nauer schon gut spielte – sonst wäre er kaum eingeladen worden –, fürchtete er, sich zu blamieren. Dem einen Kurs folgten weitere. Heute dürfte er sie selbst geben.Musiker wie Enrico Lenzin lösen einen Boom ausDass im Rheintal bald einmal kein Alphorn mehr zu hören sein wird, glaubt Martin Nauer nicht. Als er begann, habe es im Rheintal vielleicht drei, vier weitere Alphornbläser gegeben. Mittlerweile seien es um die zwei Dutzend, allein schon mit jenen, die er ausbildete – wobei es ihm keine Rolle spielt, ob seine Schüler 16 oder 60 sind.Und dann habe es immer wieder Alphornbläser gegeben, die Booms auslösten: Das fing mit der «Swiss Lady» von der Pepe Lienhard Band an; in jüngerer Zeit waren es Lisa Stoll, Eliana Bürki und gerade jetzt aus dem Rheintal Enrico Lenzin. Bürki bläst das Alphorn zwar nicht traditionell, sondern jazzig. Und auch Lenzin macht moderne Musik. Martin Nauer zeigt sich aber aufgeschlossen: «Auch das Moderne hat Platz.» Musiker wie Enrico Lenzin trügen dazu bei, dass das Alphorn beliebt bleibe.Ohnehin erlebe die Volksmusik gerade eine Renaissance, denkt Martin Nauer: «Mit fortschreitender Globalisierung besinnen sich die Leute umso mehr auf ihre Wurzeln.»