22.09.2022

«Unterschiedlicher könnte die Wahrnehmung nicht sein»

Sandro Hess und weitere Bildungspolitikerinnen und -politiker im Kantonsrat sprechen von einem dramatischen Notstand an Sonderschulen. Das Bildungsdepartement hingegen weiss nichts von der angeblichen Raumnot.

Von Max Tinner
aktualisiert am 02.11.2022
In der St. Galler Sonderschullandschaft herrsche ein dramatischer Notstand. Bereits vor einem Jahr habe beispielsweise die Heilpädagogische Schule in Heerbrugg Alarm geschlagen wegen unhaltbarerer Beschränkungen durch das Bildungsdepartement. Aktuell häuften sich die Klagen aus den Sonderschulen, dass die Kapazitätsgrenzen erreicht seien, dass dringend benötigte Plätze aber nicht bewilligt würden … Dies schreiben der Rebsteiner Mitte-Kantonsrat Sandro Hess und weitere der Bildungspolitik nahestehende Kantonsrätinnen und Kantonsräte in ei­nem Vorstoss, den sie zu Beginn der Septembersession zusammen eingereicht haben. Die Interpellation wurde vom Rat für dringlich erklärt, und die Regierung legte noch während der Session die Antwort darauf vor. Darin steht nun aber das bare Gegenteil von dem, was die Interpellanten schreiben. «Mir hat niemand etwas von einem Notstand gesagt»Von einem Notstand könne keine Rede sein, heisst es in der Antwort der Regierung. «Die Zusammenarbeit läuft ausgezeichnet: Meine Leute haben zwischen Januar und April mit allen Sonderschulen gesprochen – braucht es Plätze, werden sie bewilligt», nahm Regierungs­rat Stefan Kölliker als Vorsteher des Bildungsdepartements dann am Mittwoch Stellung. 139 Plätze seien geschaffen worden, was einer Aufstockung um mindestens zehn Prozent entspreche. Mitte September seien im Kanton 69 Plätze frei gewesen. «Ich rede dauernd mit den Sonderschulen – mich hat niemand auf einen Notstand aufmerksam gemacht», hielt Kölliker fest.«Grösser könnte die Diskrepanz in der Wahrnehmung nicht sein», stellte der Rorschacher SP-Kantonsrat und Schulpräsident Guido Etterlin fest. Eine Umfrage bei allen Sonderschulen im Kanton habe ergeben, dass nur vereinzelt Plätze frei seien, hingegen an 14 Schulen insgesamt um die 80 Plätze fehlten. Am Rorschacherberg sei sogar ein heilpädagogischer Notkindergarten eingerichtet worden, weil die Sprachheilschule fast ein Dutzend Kinder habe abweisen müssen. «Mir scheint, die Regierung hört den Sonderschulen nicht richtig zu», folgerte Etterlin.[caption_left: Mitte-Kantonsrat Sandro Hess, Balgach: «Man sollte sich fragen, ob es richtig war, die Kleinklassen aufzuheben.».  Bild: Regina Kühne]Die unterschiedliche Wahrnehmung der Situation warf im Rat vor allem eine Frage auf: «Wer hat nun recht?», sprach FDP-Kantonsrat Robert Raths, der frühere Gemeindepräsident von Thal und heutige Stadtpräsident von Rorschach, sie aus.Regierungsrat Kölliker versprach: «Wenn irgendwo Not ist, werden wir schnell reagieren.» Er will nun alle Exponenten an einen runden Tisch ins Bildungsdepartement einladen. Namens der Interpellanten dankte Guido Etterlin ihm für die Handreichung. Den runden Tisch hält er für dringend nötig: «Das Delta in der Wahrnehmung ist riesengross.»Sandro Hess warnte davor, den Bedarf für zusätzliche Plätze an Sonderschulen mit weiteren Provisorien decken zu wollen. Irgendwann werde es für solche keinen Platz mehr haben. Ausserdem wären «Containerdörfli» auf dem Areal der Schulqualität abträglich – der Pausenplatz habe einen anderen Zweck. Hess hinterfragt ausserdem das integrative Schulmodell: «Vielleicht wäre es klug ge­wesen, an den Kleinklassen festzuhalten, wo man Kinder mit Problemen zusammennehmen und miteinander betreuen konnte, statt sie nun in auswärtige Sonderklassen zu schicken, wenn es in der Regelklasse nicht funktioniert.»

Abo Aktion schliessen
News aus der Region?

Alle Geschichten, alle Bilder

... für nur 12 Franken im Monat oder 132 Franken im Jahr.