23.02.2019

Ungefragt mitgenommen werden

Von Ingrid Grave
aktualisiert am 03.11.2022
Das ist Sara passiert. Sie war keine Frau von heute, obwohl ihr Name das vermuten lässt. Sara war die Ehefrau des Nomaden Abraham. Der rüstete sich für einen Marsch ins Ungewisse, weil – wie er sagte – Gott ihn dazu aufgefordert habe. Seinen gesamten Besitz nimmt er mit: Sein zahlreiches Vieh, Knechte und Mägde, einen Neffen, mit dem er schon lange zusammengearbeitet hatte, und natürlich seine Frau Sara. Kinder sind keine da. Allerdings hatte Abraham von diesem Nomadengott die Zusage erhalten, das werde sich ändern. Wenn man die ganze lange Geschichte (Gen 12 – 24) liest, erfährt man, dass sich wirklich noch Nachwuchs eingestellt hat. Viel, viel später!Wie geht es Sara beim grossen Aufbruch? Über ihre Befindlichkeit wird nichts berichtet. Ein Frauenschicksal aus der Zeit des Patriarchats.Doch gibt es da nicht etwas, das aktuell geblieben ist bis auf den heutigen Tag? Das Schicksal katapultiert mich nicht selten ungefragt in Situationen hinein, die ich nicht gewählt habe. Alle können wir unerwartet und ungefragt mitgenommen oder mit­gerissen werden. Männer wie Frauen. Und dies, obwohl der moderne Mensch sein Schicksal selbst in die Hand zu nehmen pflegt. Damit uns nichts aus der Bahn reissen kann, wird alles durchgeplant und durchgetaktet. Da meldet sich auch kein Gott mit irgendeiner Botschaft. Wozu auch? Wir wissen, wie wir zu ticken haben, sowohl im Tages- als auch im Jahresprogramm.Beim Nomaden Abraham – wie übrigens auch bei Sara – war das anders. Sie hatten fast nichts im Griff. Auch nicht das Kinderkriegen. Mit seinen Viehherden lebte Abraham angepasst an den Rhythmus von Dürreperioden und Regenzeiten. Sein Kompass war die Intuition. Darin kam eine Weisung zum Tragen, die für ihn göttlichen Ursprungs war. Einbildung?Wir heute sind ungeübt, in die tieferen Schichten unseres Selbst hineinzuhorchen. Jederzeit aber kann ein Schicksalsschlag uns unerwartet und ungefragt wegreissen aus unseren Sicherheiten, hinein in eine Welt, wo nur der gegenwärtig gelebte Augenblick noch trägt.Abraham auf seinen Wanderungen ins Ungewisse zweifelt oft. Sara auch. Aber sie verzweifeln nicht. Wir leben nicht mehr im Patriarchat. Doch worauf ist Verlass? Auf Wissen, Können, Klima und Politik? Ich vermeine, einen leisen «abrahamitischen Trend» zu vernehmen: Die vermehrte Suche des einzelnen Menschen nach der verlässlichen göttlichen Spur im eigenen Selbst. Dass dieser rettende Trend sich halte und wachse, Gott gebe es.Ingrid GraveDominikanerin in Zürich

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