22.01.2022

Unerbittlich, unermüdlich: Renato Werndli

Der Veganer und Arzt mit Praxis in Eichberg ist die treibende Kraft hinter der Tierversuchsverbots-Initiative.

Von Enrico Kampmann
aktualisiert am 02.11.2022
Renato Werndli ist einer der aktivsten Tierschützer des Landes. Sein neuestes Projekt ist die Tierversuchsverbots-Initiative, über die das Volk am 13. Februar abstimmt. Aber was bewegt den Arzt aus Eichberg, jede freie Minute für das Wohl der Tiere zu opfern? Zumal er Angst vor ihnen hat ...Sechs Jahre lang übernachtete Renato Werndli im Rahmen von klinischen Medikamentenstudien fünf Nächte im Monat in einem Labor des Pharmariesen Sandoz in Basel. Dort wurde genau überwacht, wie sich die eingenommenen Medikamente auf ihn auswirkten. 600 Franken bekam er dafür, in den 1980er-Jahren noch eine ordentliche Stange Geld für den damaligen Medizinstudenten. Unerwünschte Nebenwirkungen habe er von den Medikamenten nie gehabt, sagt er. Dennoch will Werndli derartige Studien restlos verbieten lassen – ebenso wie jegliche Tierversuche.Renato Werndli ist einer der treibenden Köpfe hinter der Tierversuchsverbots-Initiative, über die das Schweizer Stimmvolk am 13. Februar abstimmt. Werndli betreibt eine Hausarztpraxis in seinem Wohnort Eichberg und hat zudem 2019 in Zürich gemeinsam mit einem Kollegen die erste Arztpraxis der Schweiz gegründet, die spezifisch auf die Bedürfnisse von Veganern ausgerichtet ist. Er selbst ernährt sich seit 30 Jahren vegetarisch und seit elf Jahren komplett vegan.Er war im Saal, als 1979 die Organisation «Ärzte gegen Tierversuche» (heute «Ärztinnen und Ärzte für Tierschutz in der Medizin») in Zürich gegründet wurde. Darauf folgten über vier Jahrzehnte Tierschutzaktivismus. Werndli organisiert Demonstrationen, steht regelmässig in den frühen Morgenstunden vor Schlachthöfen, verteilt Flyer auf der Strasse. Allein letztes Jahr wurden über 120 Leserbriefe von ihm in Zeitungen und Magazinen abgedruckt, doppelt so viele einfach ignoriert. Das macht ihn mit grosser Wahrscheinlichkeit zu einem der eifrigsten Leserbriefschreiber der Schweiz, wie er selbst sagt.Seine gesamte Freizeit widmet Werndli seinem Aktivismus. 20 bis 25 Stunden pro Woche. Momentan seien es wegen der zahlreichen Interviews für die Initiative wahrscheinlich noch mehr. Glücklicherweise brauche er nicht viel Schlaf, das mache es einfacher.Fleischstücke im BriefkastenEichberg mutet nicht gerade wie ein Mekka des Veganismus an. Das idyllische 1500-Seelendorf im Rheintal ist umgeben von Feldern und Bauernhöfen, Holz- und Viehwirtschaft haben hier eine lange Tradition. Tatsächlich hat es Werndli mit seinen Nachbarn nicht immer einfach.[caption_left:Eichberg ist kein Mekka des Veganismus. (Bild: Benjamin Manser)]«Ich bin schon nicht so beliebt im Dorf», sagt er und lacht. Sein Wettern gegen Tierprodukte habe zur Folge, dass schon Bauern bei ihm in der Praxis vorbeigekommen seien, um ihre Krankenakten abzuholen. Auch Fleischstücke landeten schon in seinem Briefkasten. Aber das alles sei ihm recht egal, sagt Werndli. Das Thema Tierschutz sei zu wichtig, um Rücksicht zu nehmen.Aber woher kommt sie, diese Leidenschaft für das Wohl der Tiere? Werndli scheint es selbst nicht so genau zu wissen. «Ich habe es einfach schon immer schlimm gefunden, wie wir mit Tieren umgehen.» Kein einschlägiges Erlebnis, kein Kindheitstrauma, kein Heureka-Moment. Und obendrein ist Werndli noch nicht einmal ein grosser Tierliebhaber. Er habe in seinem Leben noch nie bewusst eines angefasst, sagt er. Sie machten ihm Angst, weil unberechenbar. Dennoch ist für ihn klar: Alle Spezies müssen gleich behandelt werden, der Mensch hat keinen Sonderstatus.«Tierversuche behindern medizinische Forschung»So fordert das Initiativkomitee nebst dem Tier- und Menschenversuchsverbot auch einen Handels- und Importstopp von Produkten, die gestützt auf Tierversuche entstanden sind. Wäre das Gesetz heute bereits in Kraft, wäre davon beispielsweise auch die Coronaimpfung betroffen gewesen.Der dreifach geimpfte Hausarzt hält den Importstopp dennoch für die beste Lösung. Tierversuche seien für die Entwicklung der Covid-Impfung nicht notwendig gewesen, sie würden die medizinische Forschung sogar behindern. Werndli sagt: «95 Prozent der an Tieren getesteten Wirkstoffe versagen im Menschenversuch trotz scheinbar erfolgversprechender Ergebnisse.» So ist er überzeugt, dass die Forschung mit moderneren Methoden wie etwa Tests an menschlichem Zellgewebe oder Computersimulationen bessere Resultate erzielen würde. In Schweizer Forschungskreisen teilt man diese Meinung allerdings nicht.Die Zahl der Tierversuche hat seit den 1980ern stark abgenommen. Dennoch wurden 2020 in der Schweiz immer noch rund 550’000 Tiere für Versuche eingesetzt. Das sind nicht wenige, aber eine verschwindend kleine Anzahl, verglichen mit den 150’000 Nutztieren, die landesweit täglich für den Verzehr geschlachtet werden. Ob man den Hebel nicht besser hier ansetzen solle, anstatt bei der Forschung?«Natürlich», sagt Werndli. Das Leid der Nutztiere sei um ein Tausendfaches schlimmer. Das Tierversuchsverbot stehe für ihn wegen der Initiative zwar aktuell im Fokus, aber er engagiere sich auf der gesamten Bandbreite für das Tierwohl. So auch bei der bevorstehenden Massentierhaltungs-Initiative, welche voraussichtlich im Herbst vors Volk kommen wird.Der Mehrheit ist die Initiative zu radikalDoch während die Massentierhaltungs-Initiative bereits Unterstützerinnen und Unterstützer aus Prominenz und Politik sowie zahlreiche Tierschutzorganisationen für sich gewinnen konnte, scheinen Werndli und seine zehn Mitstreiter auf verlorenem Posten zu kämpfen. Wie der Bundesrat lehnt auch das Parlament das Volksbegehren ohne eine einzige Gegenstimme ab. Als Werndli die Initiative kürzlich bei einer Versammlung der jungen Grünen vorstellte, seien am Ende 50 zu drei Stimmen dagegen gewesen. «Diese Zielgruppe wäre uns eigentlich am nächsten.»Nicht einmal der Schweizer Tierschutz stellt sich hinter die Initiative. Einzig der Verein zur Abschaffung der Tierversuche spendete 100’000 Franken, mit welchen das Komitee Unterschriftensammler bezahlte und die Initiative so an die Urne brachte. Der Grund für die verweigerte Unterstützung ist immer derselbe: zu radikal.Dabei wirkt der ruhige, glatzköpfige Mann mit der leisen Stimme und dem gutmütigen Lächeln alles andere als radikal. Und so extrem die Forderungen seiner Initiative sein mögen, so nüchtern ist seine Einschätzung der Lage: «Die Initiative wird nicht durchkommen.»Warum dann trotzdem kämpfen? «Eine eigene Initiative ist super, um unsere Botschaft zu verbreiten.» Mittlerweile bekomme er so viele Medienanfragen, dass er gar nicht mehr allen zusagen könne. «Und das ohne jegliches Werbebudget.»Ausserdem würde noch viel hemmungsloser mit Tieren umgegangen, wenn niemand gegensteuern würde, sagt Werndli. In den 40 Jahren, in denen er sein Leben dem Tierschutz verschrieben hat, habe es durchaus Fortschritte gegeben. Langsam wachse das Bewusstsein für das Tierwohl und in der Schweiz sei der Fleischkonsum zurückgegangen – wenn er auch weltweit weiterhin zunimmt. «Vor 30 Jahren hat noch jeder den Kopf geschüttelt, wenn wir uns für Tiere eingesetzt haben», heute sei es normal. Das zeige, dass der Aktivismus etwas bewirke, wenn auch langsam.Aber ist er nicht manchmal müde vom ewigen Kämpfen? «Nie.»Der Tierschutz hat immer PrioritätObschon er einer der verbissensten und aktivsten Tierschützer der Schweiz ist und seine Prinzipien radikal bis zum Ende verfolgt, will Werndli einfach nicht zum Klischee des militanten Veganers passen. Als Gesprächspartner weder pedantisch noch aufdringlich, in seiner Argumentation besonnen und wissenschaftsbasiert. Merkmale, die allerdings nicht alle seiner Mitstreiterinnen und Mitstreiter im Initiativkomitee für sich beanspruchen können.Komitee-Schatzmeisterin und Naturheilerin Luzia Osterwalder ist während der Pandemie als eine der lautesten Massnahmenkritikerinnen und Impfgegnerinnen der Ostschweiz aufgefallen. 2020 organisierte sie den «1. Coronakongress» und verbreitet auf verschiedenen Kanälen regelmässig Verschwörungstheorien und Falschinformationen. Vorstandsmitglied und Biobauer Urs Hans wurde 2020 aus der Grünen Partei ausgeschlossen, weil er «abenteuerliche Thesen» zu Corona, Bill Gates und Mikrochips in Impfstoffen herumposaunte. [caption_left:Das Initiativkomitee: (von links) Urs Hans, Andreas Graf, Regina Moeckli, Renato Werndli, Luzia Osterwalder an einer Medienkonferenz zum Kampagnenstart «Ja zum Tier- und Menschenversuchsverbot». (Bild: Adrian Reusser / Keystone)]Bei einem Gespräch mit Werndli wird schnell klar, dass er nicht in diese Ecke passt. Aber wie kann er als eiserner Verfechter von Schulmedizin und Wissenschaft dann mit diesen Leuten zusammenzuarbeiten?«Ich bin das totale Gegenteil», sagt er. Man kenne sich bereits lange vor Corona und kriege sich wegen abweichender Ansichten seit jeher immer wieder in die Haare. Aber dieses Thema eine ihn und seine Mitstreiter. Er sei sich dessen durchaus bewusst, dass deren Engagements nicht hilfreich für die Initiative sowie sein eigenes Image seien, aber das nehme er in Kauf. Für Werndli geht der Tierschutz vor. Immer.«Eine letzte Frage: Wie geht es weiter, wenn die Initiative nicht angenommen wird?»Werndli: «Ich bin nicht müde. Ich fange am nächsten Tag an, eine neue Initiative zu planen.»Renato Werndli erinnert an den sprichwörtlichen steten Tropfen. Er mag nicht laut und aufbrausend sein. Doch ist er unerbittlich, unermüdlich – und hinterlässt am Ende eine Mulde im Stein.

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