02.10.2020

Und sie sah, dass es gut war

Von Silke Dohrmann
aktualisiert am 03.11.2022
Ein Flugzeug muss notlanden und bricht in drei Teile. Die Kabine füllt sich mit Rauch. Allen ist klar: Wir müssen hier raus. Was passiert? Auf Planet A fragen die Insassen einander, ob es ihnen gut gehe. Personen, die Hilfe benötigen, bekommen den Vortritt. Die Menschen sind bereit, ihr Leben zu opfern, auch für Fremde. Auf Planet B kämpft jeder für sich allein. Panik bricht aus. Es wird getreten und gestossen. Kinder, ältere Menschen und Gehandicapte werden niedergetrampelt. Die Frage ist: Auf welchem Planeten leben wir?Ungefähr 97 Prozent der Menschen glauben, dass sie auf Planet B leben. Tatsächlich leben wir auf Planet A!Beim Untergang der Titanic: In dem bekannten Film gerieten alle in Panik – ausser dem Streichquartett. Dem entgegen berichtete ein Augenzeuge, dass es keine Anzeichen von Panik gab, keine Angstschreie und kein Hin- und Hergerenne.Die Coronapandemie hat viele Ängste ausgelöst. Verschwörungstheorien überbieten sich an eigenartigen Behauptungen. Ärzte diagnostizieren bei Kindern depressive Verstimmungen. Ich spüre eine Anspannung im öffentlichen Raum und bin nicht mehr so gesprächig, weil wir mit Masken den anderen weniger gut lesen können. Gleichzeitig erleben wir, wie Hilfsbereitschaft und Achtsamkeit für andere gewachsen sind und das Netz von Beziehungen stärker geworden ist. Doch bemerken wir auch heftigere Diskussionen und wütigeres Aneinander-vorbei-Reden.Wie kommen wir wohlbehalten durch diese Krise? Mit Achtsamkeit, damit wir uns und andere schützen. Durch Verlangsamung der Kommunikation, um nicht aneinander vorbei zu reden. Und mit dem Vertrauen, dass die anderen «im Grunde gut» sind. So heisst auch der Titel des Buches von dem Historiker Rutger Bregmann, aus dem ich zu Beginn zitiert habe. Als Gott die Welt erschuf und auch den Menschen, sah er nach jedem Schöpfungstag, «dass es gut war». Wir sind und bleiben durch alle Krisen hindurch ausgestattet mit dem Erbgut unseres Schöpfers /unserer Schöpferin, der oder die uns gemacht hat. Wir können einander mit Abstand, aber mit Empathie beistehen und begleiten.Ein Restaurantbesuch hat mich beglückt: Der Duft von Knoblauch kam aus der Küche. Die Bedienung, eine junge Frau, freute sich, mir etwas Gutes tun zu dürfen. Es war ein Betrieb mit Mitarbeiterinnen mit Handicap. So wohl habe ich mich gefühlt. Wir brauchen so wenig, um Räume zu einer Oase des Friedens zu machen.Silke DohrmannPfarrerin in Widnau / Kriessern

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