Es ist ein föhniger Nachmittag im Advent. Susanne Peter, Anni Dünner und Bruno Ender sitzen in der Cafeteria des Altersheims Fahr. Vor ihnen stehen Kaffee und heisse Schokolade. Den Tisch schmückt ein Christstern. Bruno Ender lächelt vergnügt. Gerade hat er die Weihnachtspost erledigt. Tagelang hat sie ihn beschäftigt. «Meine Frau hat die Karten gestaltet und ich habe sie geschrieben», sagt er.«Weihnachten wird jedes Jahr schöner», sagt Anni Dünner. Seit acht Jahren lebt sie im Altersheim Fahr. «Hier wird gesungen, uns werden Geschichten erzählt und wir werden verwöhnt.» Sie strahlt Zufriedenheit aus. Und Dankbarkeit. Gesundheitlich ging es ihr eine Zeit lang nicht gut.Jetzt bereitet es ihr Freude, wieder mit anderen Bewohnern im Haus zusammen zu sein. «Als ich ein Kind war, war Weihnachten nicht so schön wie heute», sagt sie über ihre Erfahrungen aus der Kriegs- und Nachkriegszeit. Die Eltern waren zwar gut zu den Kindern. Zeit hatte die Mutter aber nur wenig, sie war den ganzen Tag über im Geschäft. «Nachts hat sie viel gebacken. Brot und Guetzli hat sie auf den Estrich gestellt, damit wir nicht dran kamen und naschen konnten.»Im Elternhaus von Susanne Peter duftete es im Advent auch nach frischem Gebäck. Das kurz vor Kriegsende geborene Mädchen durfte aber erst an Weihnachten Guetzli essen. Es musste geduldig sein. «Meine Mutter backte auch nachts. Sie wollte nicht, dass ich dabei war», sagt sie. Vom Teig zu naschen sei ihr dennoch immer wieder gelungen. «Am schlimmsten war der Vater. Er ass einmal von einem Kuchen, den die Mutter auf dem Küchenkasten versteckt hatte.» Als Susanne Peter selbst Mutter geworden war, durfte ihre Tochter beim Backen der Guetzli helfen. Den rohen Teig mochte sie auch. «Ich liess sie ihn aber probieren.»Weihnachtsgeheimnis lange aufrechterhaltenGeheimnisvoll erlebten beide Damen und der Herr die Weihnachtsfeste ihrer Kindheit. Als Anni Dünner einmal vom Samichlaus Besuch bekam, erkannte sie in ihm ihre Schwester. «Sie musste es sein, sie war ja plötzlich weg gewesen.»An der Stimme erkannte Bruno Ender den Onkel im Samichlaus-Gewand. Damals ging der Bub schon in die sechste Primarklasse. «Dadurch wurde ich nachdenklich und ohne grosse Enttäuschung in die Wirklichkeit versetzt.» Die Eltern hatten nie mit dem Samichlaus gedroht.Von seinem Grossvater erfuhr Bruno Ender viel über die Natur, über Tiere und Pflanzen. «Ich erinnere mich täglich an ihn, und versuche, das Wissen an meine Kinder und Enkel weiterzugeben.»Daher rührt wohl auch die Idee, mit seinen Kindern den Tag des 24. Dezembers im Wald zu verbringen.Es war in den Sechzigerjahren. «Meine Frau und ich wollten das Weihnachtsgeheimnis möglichst lange aufrechterhalten.» Die Mutter schmückte den Christbaum. Also fuhren Vater und Kinder mit dem Postauto ins Appenzellerland. Zu Fuss wanderten sie von Oberegg aus heim nach Berneck. Die Aussenlampe am Haus war das Signal, wieder einzutreten. «Leuchtete sie, so lief der Christbaum», sagt Bruno Ender. Er wusste also, ob die Stube fertig weihnachtlich hergerichtet war.An einem lauen Heiligen Abend leuchtete die Lampe nicht. «Wir setzten uns auf ein Bänkli und ich erzählte den Kindern eine Geschichte.» Nach einer Stunde war die Lampe immer noch dunkel. «Wir gingen trotzdem nach Hause. Und der Christbaum lief.» Die Mutter hatte einzig nicht an die Lampe gedacht.Die Kinder hatten nichts bemerkt.Ein enormer ErinnerungsschatzDas Andenken an die Kindheit und die Zeit als junge Eltern begleitet die drei Gesprächspartner jedes Jahr durch die Adventszeit. «Meine Frau und ich haben einen enormen Erinnerungsschatz.» Aus ihm zehren beide heute.Die Weihnachtstage sind ruhiger geworden. Die Kinder haben eigene Familien, mit denen sie die Festtage gestalten möchten. Bruno Ender trifft sich immer noch mit seiner Familie zu einem gemeinsamen Weihnachtsessen. Dieses Jahr hat es bereits stattgefunden. «Achtzehn Erwachsene und drei Kinder haben hier im Haus ein feines Essen bekommen», erzählt er. Die Weihnachtstage verbringen er und seine Frau im «Fahr», als Teil der Hausgemeinschaft.Das Paar wird dann wohl auf Susanne Peter und Anni Dünner treffen. Auch sie verbringen das Fest im Heim.Dass Anni Dünner keinen Besuch bekommt, bekümmert sie nicht. Ihre Tochter war im Advent aus Bayern zu Besuch gekommen. «Das ist mein schönstes Weihnachtsgeschenk», sagt sie. Anni Dünner freut sich, den Gottesdienst im Haus mitzufeiern, auf ein gutes Nachtessen und später weihnachtliche Musik in ihrem Zimmer zu hören. «Mehr wünsche ich mir nicht.»Hört Susanne Peter das Läuten der Kirchenglocken zur Christmette, wird sie ein wenig traurig. Ihr fehlt die Atmosphäre in der Kirche und das Geigenspiel.An Weihnachten überkommt sie auch etwas Heimweh nach ihrer früheren Wohnung. «Ich vermisse meine Selbstständigkeit», sagt Susanne Peter. Diese hat sie mit dem Einzug ins Altersheim vor zwei Jahren aufgeben müssen. Hingegen freut sie sich auf die Weihnachtspost. Vielleicht bekommt sie wieder einen Kartengruss von Freunden aus Australien.Die Erinnerungen aus mehr als acht Jahrzehnten deuten darauf hin: Weihnachten ist ein besonderes Fest geblieben. Die Umstände haben sich allerdings geändert. «Die Natur hat uns ein gutes Gen geschenkt. Es ist das Gen der Anpassungsfähigkeit», sagt Bruno Ender.Er bezeichnet sich selbst als Eigenbrötler und hatte Bedenken, bevor er in den kollektiven Haushalt eintrat. «Es klappte aber besser als gedacht.»