27.10.2022

«Trüffel haben etwas Mystisches»

Ein Thaler geht mit seinem Hund in der Ostschweiz auf Trüffelsuche – und verrät, worauf es dabei ankommt.

Von Melissa Müller
aktualisiert am 02.11.2022
Jan Koch parkiert sein Auto in der Nähe von Wil bei einer Kapelle. Sein Hund Beno zittert vor Aufregung. Der dreijährige Lagotto kann es kaum erwarten, aus dem Kofferraum zu springen. Die Hundeleine ist straff gespannt. Als ihn sein Herrchen von der Leine lässt, schiesst der Hund davon wie ein Pfeil. Am Fuss einer alten Buche beginnt er zu buddeln. Erdkrümel spicken in alle Richtungen. Jan Koch kauert neben Beno und tastet vorsichtig in die Erde. Seine Finger legen etwas Knolliges frei – einen walnussgrossen Trüffel mit warziger Kruste. Sofort steigt ein intensiver, nussiger Duft auf.Auch in der Schweiz wachsen Trüffel. Jedoch nicht die teuren Alba- und Perigord-Trüffel. Nördlich der Alpen spriesst der Burgundertrüffel, auch Sommertrüffel genannt. Eine Delikatesse: Koch aromatisiert damit Pastasaucen, Butter und Spiegeleier. Er steckt den Trüffel in seine graue Stofftasche und gibt dem Hund eine Belohnung. Dann deckt er die aufgegrabene Fundstelle wieder zu. Das sei wichtig, damit die feinen Wurzeln des Baums und das Pilzmyzel nicht austrocknen. «Trägt man einem Trüffelplatz Sorge, kann man über mehrere Jahre Pilze ernten.»Jan Koch und sein Hund spazieren am Waldrand entlang weiter. Die Bäume leuchten goldgelb, Laub raschelt unter den Füssen. Nur der Lärm der nahen Autobahn trübt die Idylle. Vor drei Jahren packte Koch das Trüffelfieber. Als sich seine Familie einen Hund zulegen wollte, war für den Vater von zwei Kindern klar, dass es ein Lagotto Romagnolo sein soll: Die Rasse, welche die Trüffelsucher der Romagna einsetzen. [caption_left: Jan Koch, Trüffelsucher: «Wenn Beno einen Trüffel riecht, ist sein Schwanz ­gespannt wie eine Antenne.»  Bild: Donato Caspari]Den Hund mit einem Überraschungsei trainiertBeno ist grau gelockt wie ein Pudel. Koch hat ihn schon als Welpen auf die Suche nach dem Edelpilz vorbereitet. Er versteckte einen Trüffel in einem Kinder-Überraschungsei mit Löchern, vergrub es im Garten und liess den Hund suchen. Dann vergrösserte er den Radius. Er trainierte jeden Abend, bis der Hund nach zwei Monaten ausgebildet war. «Beno ist kein Stubenhocker, er ist athletisch und braucht eine Herausforderung», sagt der Thaler, der gerne einmal im Piemont nach Alba-Trüffeln suchen würde. «Das ist mir aber zu riskant, weil in Italien Trüffelhunde vergiftet werden.» Dort gehe es um Luxus, Geld und Geheim­wissen. Der Aussendienstmitarbeiter fährt täglich auf Baustellen, um Bauchemie zu verkaufen. Unterwegs hält er stets Ausschau nach Hotspots, die er mit seinem Hund erkunden könnte. Vor allem Eichen- und Buchenwälder interessieren ihn – erstklassige Trüffelbäume, unter denen sich die kostbaren Pilze ansiedeln. Bei einer Lichtung in Wil beschnüffelt Beno den Platz hinter einer Holzbeige, wo sie früher Trüffel gefunden haben. Heute gibt es aber keine Anzeichen dafür. «Wenn Beno etwas wittern würde, wäre sein Schwanz aufgestellt wie eine Antenne und er wäre aufgeregter», sagt Jan Koch. «Es ist kein gutes Trüffeljahr.» Vor zwei Jahren fanden sie an guten Tagen zwei Kilo Trüffel innert einer Stunde. Heute kehrt er manchmal mit leeren Händen heim.Klimawandel bedroht EdelpilzeDer Sommer war zu trocken, zu heiss. Dass der Klimawandel das Trüffelvorkommen in der Schweiz gefährdet, bestätigt die Eidgenössische Forschungsanstalt für Wald, Schnee und Landschaft. Zwar erholen sich die Pilzvorkommen nach einem Hitzesommer wieder. Die Forscher gehen aber davon aus, dass einige Trüffelvorkommen in Europa aussterben werden.Koch wandert einen Hang hinunter bei einem Vita-Parcours. Der 42-Jährige liest das Gelände. «Waldhänge mit Morgensonne sind gut für Trüffel, weil sich hier keine Staunässe bildet.» Der Lagotto entfernt sich höchstens fünfzig Meter. Er zieht eine unsichtbare Linie zwischen sich und seinem Besitzer, wie eine magische Hundeleine. Beim Steinigen Tisch in Thal fand Koch früher Trüffel unter einem Haselstrauch. Seit dieser gefällt wurde, wachsen dort keine mehr. Die Edelpilze mögen kalkhaltige Böden, auf denen Reben angebaut werden. Wie im «Heidiland»; das Gebiet sei «sensationell».Im Thurgau, in Goldach, Berneck und Rorschacherberg befinden sich ebenfalls gute Fundorte. Das «Lindeli» in Gossau, die markante Hügelkuppe mit den Linden, die man von der Autobahn her sieht, hat er auch schon abgesucht – erfolglos. Auch in öffentlichen Pärken in der Stadt St. Gallen grub er schon Trüffel aus. Nicht aber an der Sitter, der Boden sei wegen der Fichten zu sauer. Dafür pflückt Koch dort im Frühling Morcheln. «Manchmal gehen wir an solch abgelegene Orte, dass ich mich nicht wundern würde, wenn wir eine Leiche finden würden.» Spürnase Beno riecht nur reife Trüffel. Darum macht Koch mit ihm jede Woche eine Tour zu den Fundplätzen. Der reife Trüffel lasse seinen Geruch aus der Erde steigen. Der Wind trage den Duft weiter, und er schlage dann irgendwo am Boden auf wie eine unsichtbare Seifenblase, die platzt. «Von diesem Punkt an nimmt Beno die Witterung auf und verfolgt den Duft, bis er den Trüffel hat.»Eine Handvoll kostbarer Pilze St. Galler Trüffel werden für 650 Franken pro Kilo gehandelt – im Gegensatz zum Alba-Trüffel, für die Feinschmecker über 9000 Franken pro Kilo hinblättern. Weil Koch mehr Trüffel findet, als seine Familie essen kann, verkauft er sie exklusiv an Spitzenkoch Agron Lleshi vom St. Galler «Jägerhof» – zu einem Freundschaftspreis, über den sie Stillschweigen vereinbart haben. Dem gelernten Maurer geht es nicht ums Geld. Wenn er Zeit hat, zieht es ihn in die Natur: Zum Fischen, Imkern und Steinpilze sammeln. «Trüffel haben etwas Mystisches», sagt er. Sie im Verborgenen aufzuspüren, könne nicht jeder. Ein Schneckenhaus liegt im Laub. «Ein gutes Zeichen, dass es hier Trüffel haben könnte», sagt Jan Koch. Plötzlich ist Beno aufgeregt, streift elektrisiert durch das Unterholz und beginnt zu scharren. Erneut holt Koch einen Trüffel hervor. Nach dem Rundgang ist der Hund erschöpft. Am Ende des Tages hat Jan Koch eine Handvoll der kostbaren Pilze in der Tasche – genug für eine Pasta mit Pilzsauce zum Znacht. 

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