02.11.2019

Trauer kennt verschiedene Wege

Von Silke Dohrmann
aktualisiert am 03.11.2022
Als unser Meersäuli starb, setzte sich unser Hund mit der Schnauze an die Gitterstäbe und fing leise an zu fiepen. Der Trauergesang dauerte über eine Stunde an und hörte nicht auf, als «Schnuckerle» gestorben war. Die Tiere hatten nichts gemein, ausser dass sie zu unserem Familienrudel gehörten. Es war für unsere Tochter die erste Begegnung mit dem Tod: ein spirituelles Erlebnis, Mensch und Tier vereint in Trauer.Im Fernsehen sehe ich eine Elefantenherde auf ihrer Rei-se; sie nehmen immer dieselbe Route. Wenn sie an den Knochen ihrer Verstorbenen vorbeikommen, werden diese von jedem Mitglied der Herde betastet. Sie scheinen zu wissen, wer das verstorbene Tier war. Auch Elefanten haben eine starke Erinnerung an ihre Verstorbenen. Welche Riten helfen uns, ohne unsere Toten weiterzuleben und vergewissern uns, dass das Leben auch im Schmerz gesegnet ist?Als Pfarrerin betrübt es mich, wenn eine Trauerfamilie einen Abschied nur auf dem Friedhof wünscht. Ohne Musik, ohne die Geborgenheit des Kirchenraumes und in der Trauergemeinde. Manchmal wollte der Verstorbene in aller Stille beigesetzt werden. Doch was brauchen die Hinterbliebenen, was täte ihrer Trauer gut? Meistens bleiben sie bei ihrem Entschluss. Einmal konnte ich den Sohn bewegen, seinen Plan zu ändern. Eine grosse Trauergemeinde kam zusammen, und die weit über 90-Jährige wurde mit vielen Geschichten in der Trauergesellschaft präsent, ein grosses Geschenk!Ob die Ablehnung von den bewährten Riten eine Angst vor der Trauer ist, die einen lähmen könnte, oder ein Schutz vor den Erzählungen und Erinnerungen der anderen?Manche Familien bestatten ihre Verstorbenen im Garten, um sie nahe bei sich zu wissen. Auch wenn ich die Trauernden begleite, ist mir dieses fremd. In anderen Kulturen ist es ein Tabu, die Räume des Lebens mit dem letzten Platz für die Toten zu vermischen. Dass die Toten privatisiert werden, und die Arbeitskolleginnen sie nicht auf dem Friedhof besuchen können, ist ein Aspekt, der unser soziales Leben verarmen lässt. Die Verstorbenen gehören zu uns, aber sie gehören uns nicht. Mich begleiten viele meiner Verstorbenen. Meine Grossmutter oder ein Freund, der innerhalb von sechs Wochen starb. Ich bin dankbar, auf einem Friedhof meine Ur-Ahnen bis heute besuchen zu können. Das Familiengrab ist ein Ort der Geschichten. Ob ich deshalb so gern Familiengeschichten höre? Ob mein Besuch als Kleinkind auf den Gräbern meinen Berufswunsch mitgeprägt hat? Und ob deshalb der Tod für mich kein Schrecken ist? Ich wünsche Ihnen allen gesegnete Wege durch Ihre Trauer!Silke DohrmannPfarrerin in Widnau, Kriessern

Abo Aktion schliessen
News aus der Region?

Alle Geschichten, alle Bilder

... für nur 12 Franken im Monat oder 132 Franken im Jahr.