02.04.2021

Totenfahne mit verschlüsselter Botschaft

Das Altstätter Museum Prestegg gibt den Blick frei auf eine barocke Totenfahne, die sich in seiner Sammlung befindet.

Von Werner Ritter, Caroline Schärli
aktualisiert am 03.11.2022
Die Marienverehrung erfreut sich im Rheintal nach wie vor grosser Beliebtheit. Das zeigen nicht nur die zahlreichen Statuen und Bilder der Gottesmutter in verschiedenen Kirchen und Kapellen, sondern auch die vielen geopferten Kerzen sowie die Einträge in den Fürbitten- oder Anliegenbüchern, die aufliegen, um Gebetsanliegen hineinzuschreiben. Herausragendstes Beispiel für die ungebrochene Popularität der Marienverehrung ist die Marienkapelle im Riet in Oberriet. Obwohl sie erst am 7. August 1999 vom damaligen Domdekan Markus Büchel eingeweiht wurde, fand das Gnadenbild der Maria Knotenlöserin – eine Kopie des um 1700 angefertigten Augsburger Gnadenbildes – bei der Bevölkerung rasch grossen Anklang, was die vielen Besuche und die unzähligen Kerzenspenden in der Kapelle zeigen.Die verschiedenen Statuen und Bilder in den Kirchen und Kapellen verdienen nicht nur wegen ihres religiösen und künstlerischen Werts grosse Beachtung. Sie enthalten vielfach auch Botschaften, die aber nur jene entschlüsseln und verstehen können, die wissen, wie die Bilder gelesen werden müssen. So geht beispielsweise das Motiv der Knotenlöserin zurück auf eine Textstelle des Kirchenvaters Irenäus von Lyon, in der es heisst, dass der Knoten von Evas Ungehorsam durch den Gehorsam Marias gelöst worden sei – im Bild virtuos umgesetzt mittels des weissen Bandes, dessen Verknotungen die Gottesmutter dabei ist zu lösen. In der Sammlung des Museums Prestegg in Altstätten befindet sich eine barocke, 125 mal 94 Zentimeter grosse Totenfahne. Sowohl bei der Darstellung des Todes als Sensenmann auf der einen als auch beim Marienbild auf der anderen Seite der Fahne handelt es sich um ikonographisch äusserst interessante Darstellungen. Der Tod auf der einen Seite, Maria auf der anderenDies- und Jenseits, Sterben und Erlösung binden die beiden Seiten der Totenfahne des Museums Prestegg thematisch zusammen. Der Tod auf der einen Seite, wiedergegeben als naturalistisch dargestelltes Skelett, hält in seiner Rechten eine grosse Sense und als Zeichen der Vergänglichkeit des irdischen Lebens in seiner Linken eine grosse Sanduhr.  Die Mariendarstellung auf der anderen Seite der Fahne steht bildlich im Zusammenhang mit einer reduzierten Darstellung des Fegefeuers am unteren Bildrand, wo unbekleidete Personen zu sehen sind, die in lodernden Flammen Qualen erleiden. Maria, die auf einer bildmittig platzierten schwebenden Wolke sitzt und Jesus auf dem Schoss hält, hat hier die Rolle der Fürsprecherin und Erretterin der Armen Seelen im Fegefeuer inne. Nach christlicher Vorstellung kam ihr dabei unter den Heiligen eine besondere Bedeutung zu. Das Marienbild ziert die eine Seite der Totenfahne, ... ... der Tod in Gestalt des Sensemanns die andere. Damit verbinden die Darstellungen Dies- und Jenseits. Gut sichtbar halten Maria und Jesus vertikal herabhängende Bänder oder Schnüre in den Händen. Wie sind diese zu deuten? In bildlichen Muttergottes-Fegefeuer-Kombinationen ist es nicht unüblich, dass Maria und Jesus, Engel oder weitere Heilige Gegenstände in Richtung des Fegefeuers reichen, die Linderung der Qualen oder gar die Errettung der Armen Seelen herbeizuführen scheinen. Unter den wenigen Arten von Gegenständen kommen dabei neben Rosenkränzen in erster Linie Skapuliere (ebenfalls ein Sakramentale der katholischen Kirche) vor – und als solche können die dunklen Schnüre auf der Totenfahne des Museums Prestegg gedeutet werden. Gemäss ihren realen Ausführungen erscheinen die sogenannten kleinen Skapuliere auf neuzeitlichen Darstellungen meist in Form von zwei rechteckigen, mit Schnüren miteinander verbunden Stoffstücken, die oftmals mit Abbildungen versehen sind. Gelegentlich erscheinen sie aber auch in schlichter Form, rein band- oder schnurförmig, wie auf dieser Totenfahne.Verweis auf religiöse BruderschaftenInteressant ist der historische Kontext der kleinen, über die Schulter getragenen Skapuliere, welche sich von den grossen Skapulieren der Ordenshabits ableiten und auf den Fegefeuer-Darstellungen als Symbole der Erlösung und des Ablasses auftreten: Sie verweisen auf religiöse Bruderschaften, insbesondere auf die Skapulierbruderschaft der Karmeliten (Bruderschaft Unserer Lieben Frau auf dem Berge Karmel). Dass das «braune Skapulier» des im 12. Jahrhundert gegründeten Karmelitenordens zum bekanntesten der verschiedenen kleinen Skapuliere avancierte, hat mit einer von der katholischen Kirche anerkannten Verheissung der Muttergottes zu tun. Sie wird so interpretiert, dass die Fürsprache Mariens den Skapulierträger zur rechten Zeit zur Umkehr zu bewegen vermag und vor Sünde und Höllenqualen bewahrt. Dieser Hintergrund lässt unsere Mariendarstellung in einem neuen Licht erscheinen. Überdies erstaunt ihr Platz auf einer Totenfahne insofern nicht, als Totenfahnen Utensilien des bruderschaftlichen Totendienstes waren, wie durch Quellen belegt ist.Totenfahne stammt aus GraubündenBezüglich der Totenfahne des Museums Prestegg, die vermutlich aus Graubünden stammt, erscheint ausserdem der Umstand von besonderer Bedeutung, dass eine Skapulierbruderschaft beispielsweise in Alvaschein bereits 1604 existierte und eine andere 1658 im Kloster Disentis gegründet wurde. Dieser Kontext legt den Schluss nahe, dass die Totenfahne im Museum Prestegg für eine (Bündner) Bruderschaft angefertigt und in deren Totendienst verwendet wurde.Die Frage, wie mit dem Sterben und dem Tod umzugehen sei, hat in unserer Zeit eine neue und sehr grosse Bedeutung erlangt. Das zeigt die Diskussion um die Begleitung Sterbender sehr deutlich. Die Distanz vieler Menschen zur Religion und den religiösen Sterberiten hinterlässt ein Vakuum, welches durch neue Formen palliativer Betreuung gefüllt werden muss. Durch die Covid-19-Pandemie hat dieses Problem, welches die Menschen schon immer beschäftigte, noch mehr an Bedeutung und Brisanz gewonnen. Zu den Autoren: Werner Ritter ist Präsident des Museumsvereins Prestegg, Caroline Schärli Kuratorin des Museums.

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