Noch einen Schluck aus der Red-Bull-Dose oder einen letzten Zug an der Zigarette – und schwups, raus aus dem Autofenster mit den Müll. Was zu Hause keinem in den Sinn kommt, scheint in der Natur völlig normal zu sein. «Wir finden zu jeder Jahreszeit eimervoll Abfall entlang unserer Wiesen und Ackerflächen», sagt der Marbacher Meisterlandwirt Reto Segmüller.Der grösste Teil seien Bierbüchsen, Aludosen und Alkoholflaschen. Aber auch Hausrat, Zigarettenstummel und Plastikabfälle gibt es immer wieder. «Auf einen Kilometer kommen zwei Eimer voll Abfall», sagt die Kindergartenlehrperson Simone Segmüller. Littering sei nicht nur im städtischen Umfeld ein Problem. Vor allem Autofahrer und Spaziergänger entsorgen ihren Abfall am Strassenrand, ohne sich dabei der tragischen Konsequenzen bewusst zu sein.Fehlende Empathie für die TiereMirella Göldi, Bäuerin und Kinderpflegerin aus Lienz, verlässt ihren Hof nie ohne Abfallsack. «Ständig finde ich Abfall am Wegrand und in der Wiese.» Sie und ihr Mann Andreas Göldi scheuen nicht den Mehraufwand, sie sagen nur: «Erkläre einem Kind, wieso seine Lieblingskuh elendig zugrunde geht, weil jemand zu faul war, den Abfall richtig zu entsorgen.»Den Verursachern fehle es an Empathie für die Natur allgemein und für die Tiere speziell. Es fehle den Abfallsündern in der heutigen Konsumgesellschaft, in der man alles günstig und schnell ersetzen kann, an Schuldbewusstsein, Anstand und Intelligenz. «Viele machen sich keine Gedanken über die Konsequenzen ihres Verhaltens», sagt Reto Segmüller und seine Frau ergänzt: «Die fehlende Einsicht zeigt sich überall, in der Stadt genauso wie im Wald – sogar auf den Alpen.»Jede Art von Abfall sei gefährlich und – sofern nicht richtig entsorgt – ein Problem für die Umwelt. Besonders kritisch werde es, wenn Abfall durch die Futterkonservierung zerkleinert wird und zum Beispiel Alu- oder Glassplitter zurückbleiben. Mit dem Futter gelangen die Fremdkörper in einen der vier Mägen der Kühe. Dort können sie sich verkeilen oder die Gedärme aufschlitzen. Beides führe zu Infektionen und schliesslich zum Tod der Kuh.Statt bestrafen Anreize schaffenDie Natur zu achten und mit ihr in Einklang zu leben, sei ein Anliegen. «Alle müssen Verantwortung übernehmen», sagt Andreas Göldi. Mirella Göldi ergänzt: «Bauern müssen Vorbild sein und den Mut haben, Verursacher direkt anzusprechen und aufzuklären.» Vielleicht müsste man die Bussen für Littering erhöhen oder Konsumgüter mit einem Depot belegen.Laut Segmüllers werde das Problem nur gelöst, wenn es die Gesellschaft als solches erkenne. Es gehe um Werte: Jeder soll sich seines Verhaltens bewusst werden und die Konsequenzen abschätzen können, sagt Simone Segmüller. Es sei eine Frage der Erziehung, weshalb Sensibilisierungskampagnen bei den jüngsten Mitgliedern der Gesellschaft ansetzen sollten. Statt mit dem Zeigefinger mahnend den Abfallsündern die Hölle heisszumachen, könnte ein Belohnungssystem nachhaltigen Nutzen bringen. «Wir sollten Anreize schaffen. Noch besser wäre, weniger Abfall zu produzieren und ihn auf den Deponien zu entsorgen», so Reto Segmüller. Das «Auto-Ochsnerli» von 1970Weil es an Autobahnböschungen, Strassenrändern und Rastplätzen immer mehr Abfälle gab und sie dadurch an natürlichem Blumenschmuck verarmten, gab es in der Schweiz vor 50 Jahren eine Kampagne gegen Littering entlang der Strassen. Mit dem «Auto-Ochsnerli» hat die Aktion «Saubere Schweiz» zusammen mit Benzinfirmen, ACS- und TCS-Sektionen dem üblen Brauch, Abfälle aus dem Fenster zu werfen, den Kampf angesagt: Von Genf bis Romanshorn, von Chiasso bis Basel wurden eine Million Abfallsäcklein an Tankstellen und Servicestationen gratis abgegeben.Die aufgedruckten Bilder und Anweisungen ermahnen Automobilisten, mit der schändlichen und schädlichen Gewohnheit zu brechen und die Abfälle im «Auto-Ochsnerli» zu sammeln und zu Hause oder am nächsten Rastplatz in einem Abfallkübel zu versorgen. Das «Auto-Ochsnerli» will nicht mehr sein als ein Botschaftsträger.