25.10.2019

«Timo Meiers Weg inspiriert mich»

Von Ausserrhoden über Kanada zu den Eishockeyprofis: Der 16-jährige Gion Coray aus Reute schlägt einen im Kanton bekannten Weg ein.

Von Interview: Yann Lengacher
aktualisiert am 03.11.2022
Interview: Yann LengacherGion Corays Leidenschaft ist das Eishockey. Sie hat den 16-Jährigen aus Reute nach Kana-da geführt. Der ehemalige SC Rheintal- und heutige HC-Davos-Junior läuft diese Saison für ein Juniorenteam der Canadian International Hockey Academy (Ciha) in der Nähe von Ottawa auf. Hier möchte er sich während eines Jahres beweisen, um allenfalls einen Juniorenvertrag in Nordamerika zu erhalten. Damit begeht er einen Weg, wie ihn mit Timo Meier ein anderer Ausserrhoder auf ähnliche Weise begangen hat. Die ersten Monate in seiner neuen Heimat liegen hinter Gion Coray. Im Interview spricht er über das Leben an der Hockey-Akademie und verrät, wie seine russischen Mitspieler ticken. Nach der ersten Saison bei der U17 des HC Davos zog es Sie an eine kanadische Hockey-Akademie. Wie kam es zu diesem Schritt? Gion Coray: Auf private Initiative hin und mit Hilfe von Sponsoren nahm ich an einem vierwöchigen Vorbereitungscamp für die Hockey-Saison in Ottawa teil. Ziel war, mich optimal auf die Saison mit dem HCD vorzubereiten. Aber es kam anders. Der Headcoach des Camps und Development Director bei den Ottawa 67’s hat mich überraschend für ein College Combine (mehrtägiges Probetraining A. d. Red.) für die Jahrgänge 1999 bis 2003 vorgeschlagen. So spielte ich an einem Wochenende unter den Augen von diversen Scouts. Danach meldeten sich zwei Clubs und die Canadian International Hockey Academy. Sie bot mir einen Platz im Midget-AAA-Team für eine Saison an. Ich und meine Familie mussten uns schnell entscheiden, ob ich in Kanada bleiben sollte oder nicht. War es von Anfang an klar, dass Sie das Auslandsjahr in der Akademie machen werden, oder wäre auch der Wechsel zu einem anderen Klub eine Möglichkeit gewesen? Klar haben mich die Angebote sehr gefreut und gereizt. Aber beim HC Davos habe ich einen Ausbildungsvertrag und einen Stammplatz bei der U17-Elite, dazu bin ich Gymnasiast im Sportgymnasium. Der Entscheid, meine Familie zurückzulassen, bereitete mir einige schlaflose Nächte. Aber die Chance, in Kanadas höchster U18-Liga zu spielen, bekommt man im Leben nicht zweimal. Deshalb habe ich mit dem Einverständnis meiner Eltern und nach Gesprächen mit den Sport- und Schulverantwortlichen entschieden, die Chance zu ergreifen. Für meine Eltern war es wichtig, dass ich mich für eine Akademie mit integrierter privater Senior-Highschool entschieden habe und nur eine einjährige Verpflichtung eingehen muss. In diesem Jahr kann ich mich beweisen und vielleicht einige Weichen stellen. Schon ein anderer Ausserrhoder hat seine Eishockey-Karriere in Kanada lanciert: Timo Meier. Haben Sie sich an seinem Weg ein Vorbild genommen? Timos Weg von Herisau über Kanada in die USA inspiriert mich. Er zeigt auf, dass es möglich ist, mit Talent, Fleiss und vielen weiteren Attributen vom kleinen Ausbildungsklub in die NHL zu kommen. Nur schon deswegen ist er ein Vorbild. Den Weg so zu gehen, wie er es getan hat, ist für mich natürlich ein Ziel. Wie erleben Sie Ihr neues Umfeld? Ich lebe mit 90 Hockeyspielern im Internat der CIH-Academy, wir haben hier alles, was wir brauchen. Während der ersten Wochen benötigte ich vor allem Zeit, um mich zurechtzufinden und einzugewöhnen. Jetzt bin ich angekommen und fühle mich sehr wohl. Wie läuft eine klassische Woche in der Hockey-Akademie ab? Wochentags habe ich entweder Training oder Schule. Abends haben wir Zeit für individuelle Trainings oder Hausaufgaben. Es tönt alles recht easy, aber Freizeit haben wir nicht wirklich oft. An den Wochenenden schlafe ich bis neun Uhr aus. Nach einem Brunch geht’s an die Spielvorbereitung. Wir haben jeweils am Samstag und am Sonntag ein Spiel. Ihre Mitspieler sind Kanadier, Russen oder Amerikaner. Wie verstehen Sie sich mit ihnen? Wir sprechen Englisch miteinander. Ich verstehe mich mit allen gut, am meisten Kontakt habe ich mit ein paar Jungs aus den USA. Die Russen sind eher zurückhaltend und bleiben gerne unter sich. Es hat auch zwei Westschweizer da, die sind sprachlich im Umgang mit den Frankokanadiern im Vorteil. Es ist spannend zu erfahren, wie die Spieler aus anderen Nationen ticken und leben. Gibt es Dinge, die Sie vermissen? Natürlich. Meine ganze Familie, die ich sehr gern um mich hätte. Ich sehe sie aber an Weihnachten. Manchmal sind es die kleinen Dinge, die mir fehlen, wie ein Raclette oder Fondue, mein eignes Bett, meine Playstation. Zu Hause konnte ich schnell in den Dorfladen einkaufen gehen. Hier muss ich ein Uber-Taxi bestellen und mich im Internat abmelden. Ich denke viel an die Heimat. Aber diese Gedanken habe ich oft nur kurz im Kopf, denn ich lebe hier in einem tollen Umfeld. Aufs Eisfeld: Inwiefern unterscheidet sich das Spiel in der neuen Liga von dem, wie Sie es in der Schweiz kannten? Aufgrund des kleineren Eisfelds ist die Spielweise viel schneller und an den Banden körperlicher. Hier dürfen auch harte Checks gefahren werden und sind sogar erwünscht. Wendigkeit und schlittschuhläuferische Fähigkeiten sind das A und O im kanadischen Eishockey. Der Coach verlangt von uns ein offensives Hockey. In der Schweiz musste ich viel defensives Hockey spielen. Das U18-Niveau ist wohl etwas höher als in der Schweiz. Wie zufrieden sind Sie mit dem Saisonstart Ihres Teams? Unser Team startete gleich zu Beginn durch und fuhr einige Siege ein. Das ist erfreulich. Die Saison ist aber lang, wir spielen rund 60 Partien bis im Frühjahr. Und wie schätzen Sie Ihre persönliche Saison bisher ein? Sie trafen ja doch schon einige Male. Ich bin sehr zufrieden, konnte mich gut positionieren. Ich bekomme viel Eiszeit und werde in den Special-Teams eingesetzt, was mir zeigt, dass ich auf dem richtigen Weg bin. Besser geht immer! Ich arbeite täglich daran, um besser Hockey zu spielen. Mein Motto lautet: «Ich möchte, indem was ich mache, der Beste sein oder mein Bestes geben – und das in jeder Hinsicht.» Darum muss ich weiterarbeiten und fokussiert bleiben. Geben Ihnen die Tore im neuen Land das Gefühl, dass Sie die Anlagen haben, um irgendwann bei den Profis treffen zu können? Die Tore und Assists geben mir natürlich Gewissheit, dass ich mit den Kanadiern mithalten kann. Es ist ein super Gefühl! Die Spielweise kommt mir entgegen, hier werde ich als Offensivcenter eingesetzt. Es wird von mir erwartet, dass ich schnell, aggressiv und goalorientiert spiele. Genau so mag ich es. Mein Ziel ist, dass ich irgendwann in einer Profiliga spielen kann. Ich bin sicher, dass ich das erreichen kann. Wo sehen Sie die Stärken und Schwächen in Ihrem Spiel? Meine Stärken liegen im schlittschuhläuferischen Bereich, ich bin flink und wendig. Dabei gehe ich keiner Konfrontation aus dem Weg, bin bereit, Checks zu fahren und einzustecken. So kann ich kreativ sein und Chancen herausspielen. Meine Schwäche ist mein Körperbau, mit meinen 1,67 cm und 65 kg bin ich nicht der Musterspieler. Zum Glück hat sich die Meinung, was Körpergrösse im Hockey betrifft, gewandelt. In der Schweiz zeigt Lino Martschini vom EV Zug, dass kleinere Spieler mit ihrer Wendigkeit trumpfen können. Wie lauten Ihre Ziele für die nahe Zukunft? In dieser Saison möchte ich mich zu einem spritzigen Offensivcenter mit Führungsqualitäten entwickeln, meine Stärken festigen und meine Defizite ausbessern. Ich habe einen Fünf-Jahres-Plan: Sollte ich nach dem Jahr an der CIHA in Nordamerika bleiben, möchte ich in einem Universitätsteam in einer Top-Juniorenliga spielen und von dort in die Profiliga kommen. In der Schweiz sähe ich mich nach bestandener Matura in einer Profiliga und danach in einem Studium. Was müssen Sie beachten, damit eine erfolgreiche Karriere gelingt? Ich versuche mich, von den vielen anderen Hockeyspielern abzuheben. Seit ich denken kann, investiere ich meine gesamte Freizeit, um zu trainieren. Daneben gehören viele Dinge dazu, z. B. wie das Befolgen eines Ernährungsplans. Im Spiel und im Training bin ich stets voll dabei und bringe mich an meine Grenzen und manchmal darüber hinaus. Hockey ist einfach der beste Sport der Welt, den ich über alles liebe und für den ich alles gebe. Ich bin sehr dankbar, dass ich Eltern, Verwandte und Gönner habe, die es mir erlauben, so viel in den Sport zu investieren. Ob ich letztlich Timo Meiers Weg einschlagen kann, hängt von vielen weiteren Faktoren ab.

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