Max TinnerIm Gemeinschaftsraum der Time-out-Schule Oberrheintal hängt an der Wand eine karierte Stoffbahn, ähnlich den Banden, wie sie an Autorennen über der Zieldurchfahrt aufgespannt werden. «Praktisch alle, die aus ihrer Schulklasse für ein Time-out hierher geschickt werden, leben dermassen im Hier und Jetzt, dass sie sich noch kaum je Gedanken über ihre Zukunft gemacht haben – was aber unbedingt nötig ist», stellt Schulleiter Peter Kuster fest. Was möchte ich werden? Wohin soll es mit meinem Leben gehen? Die entscheidendsten Fragen des Lebens stellen sich dem Menschen im schwierigsten Alter.Schwierig waren in ihrer Schulklasse alle, die ins Time-out geschickt wurden. Sie haben dauerhaft gestört, so dass es der Lehrerin oder dem Lehrer kaum mehr möglich war, zu unterrichten. Das Time-out für die Störefriede soll die Situation in der Schulklasse beruhigen. Und es soll die Betroffenen auf die richtige Bahn bringen, damit sie vernünftiger wieder zurück in ihre Klasse können. Das Time-out dauert denn auch in der Regel nur drei bis sechs Monate. Dies bedeutet auch, dass die Time-out-Schule kein Auffanglager ist für Kinder, die sich überhaupt nicht einfügen lassen oder die straffällig geworden sind.Im Time-out liegt man nicht auf der faulen HautTime-out bedeutet wiederum auch nicht, dass die Jugendlichen, statt in die Schule zu gehen, abhängen und auf der faulen Haut liegen. Auch im Time-out müssen sie den Schulstoff in Mathematik und in den Sprachfächer lernen, damit sie nicht hinter den Stand der Klasse zurückfallen, in die sie wieder zurück sollen. Daneben wird gearbeitet, beispielsweise einer betagten Frau der Rasen gemäht oder einem Bauern beim Stallausmisten geholfen. Solches hilft, den Kopf freizubekommen, und gibt dem Tag Struktur.Leicht ist es nicht, in der Time-out-Schule Lehrer zu sein, gibt Schulleiter Peter Kuster zu. Es brauche Geduld und Nerven, Einfühlungs- und Durchhaltevermögen und die Fähigkeit, konsequent durchzugreifen. Man investiere auch viel Zeit ins Gespräch; so viel, wie es in einer regulären Schulklasse einem Lehrer gar nicht möglich wäre.Der Erfolg spricht aber für sich. Praktisch für alle Time-out-Schüler findet sich eine Nachfolgelösung. Der Grossteil geht in die frühere Klasse zurück, ein Teil geht danach in eine Sonderschule oder Kleinklasse oder kann – das entsprechende Alter vorausgesetzt – gleich eine Lehrstelle antreten. Nur im seltenen Einzelfall kommt es zum Schulausschluss und einer Heimzuweisung. Das Konzept hat sich also bewährt. Wovon die Räte der Trägerschulgemeinden (es sind dies die Oberstufenschulgemeinden Oberriet-Rüthi, Altstätten-Eichberg und Rebstein-Marbach) bei der Gründung vor zehn Jahren auch ausgegangen waren – nicht zuletzt, weil die Oberstufen Mittelrheintal und Widnau damals bereits seit ein paar Jahren mit Erfolg eine solche Time-out-Klasse führten. Auch jene Klasse besteht noch heute.Dennoch gab es im Oberrheintal zu Beginn Probleme. In Montlingen, wo man die Klasse zunächst in einem Einfamilienhaus unterbringen wollte, gab es massive Gegenwehr aus der Bevölkerung. So kam es, dass die Time-out-Klasse zu Beginn des zweiten Semesters anfangs Februar 2008 nicht wie vorgesehen in Montlingen startete, sondern in Marbach in der Missione Cattolica Italiana. Hier teilte man sich Räume mit dem Vorstand der Italienergemeinde und dem Kirchenchor. Drei Jahre später zügelte die Time-out-Schule in ein Einfamilienhaus an der Riet-strasse in Lüchingen. Seit August 2014 ist sie an der Bildstrasse 12 in Altstätten, in jenem Einfamilienhaus zwischen Altersheim Haus Viva und Berufsschule, das von der Stadt Altstätten ein paar Jahre zuvor gekauft worden war. Der Stadtrat hatte ursprünglich die Absicht, es abzureissen und hier einen Parkplatz zu bauen.Zum Beruhigen raus zum JätenSchulleiter Peter Kuster hofft allerdings, noch lange hier bleiben zu können. Das Haus sei ideal, nicht zuletzt wegen des grossen Gartens. Hier kann er seine Schützlinge beschäftigen, wenn es im Schulzimmer grad einmal nicht mehr funktioniert. Dann geht es hinaus zum Jäten.An der Trägerschaft soll es nicht liegen. «Die Vertreter der drei Trägerschulgemeinden haben kürzlich aufs zehnjährige Bestehen der Time-out-Schule und auf die nächsten zehn Jahre angestossen», sagt Karl Loher, Präsident der Oberstufenschulgemeinde Oberriet-Rüthi, welcher die Time-out-Schule administrativ angegliedert ist. Auf nächstes Jahr ist sogar ein Stellenausbau von den heutigen 150 auf 250 Stellenprozente vorgesehen. Denn die Nachfrage nach der Möglichkeit eines Time-outs für einzelne Schüler besteht nach wie vor. Im Schnitt betreut die Time-out-Schule sieben bis acht Schüler. Immer öfter sind es auch solche im Primarschulalter. Und immer öfter sind es nicht nur Buben, sondern auch Mädchen, die ins Time-out geschickt werden. Der Betreuungsaufwand steigt damit. Für Peter Kuster spiegelt sich darin die Entwicklung der Gesellschaft. «Manchen Kindern werden zu wenig Leitplanken gesetzt, obwohl gerade das nötig wäre.» Die Probleme werden dann in die Schule getragen. Wenn es dann auch dort nicht mehr «geigt», liegt es an der Time-out-Schule, die Situation zu beruhigen.Unter der Zielbande im Gemeinschaftsraum haben einige Jugendliche, die schon ein paar Wochen im Time-out sind, auf A4-Blätter ihre persönlichen Ziele formuliert, nachdem sie sich hier erstmals mit ihrer Zukunft auseinandergesetzt haben. Damit haben sie den ersten Schritt zurück in die Regelklasse getan, einen ersten Schritt an ihr nächstes Ziel.HinweisMehr zur Time-out-Schule Oberrheintal findet man im Internet auf www.orschulen.ch/time-out-schule-oberrheintal.html