12.09.2022

Tesla und Co. könnte der Strom ausgehen

Ein Elektroauto-Verbot in der Ostschweiz ist unwahrscheinlich. Dennoch könnte Tesla und Co. der Strom ausgehen - das ist abhängig von Putin und dem Wetter.

Von Stefan Marolf
aktualisiert am 02.11.2022
2000 Franken Prämie für jedes neue Elektroauto bis Ende 2021, Beteiligung an den Kosten für die Ladeinfrastruktur, Rabatt auf die Verkehrssteuer: Der Thurgau fördert die Elektromobilität wie kaum ein anderer Kanton – und hat Erfolg. Über 3700 Elektroautos sind, Stand Ende Juli 2022, eingelöst. Damit machen die batteriebetriebenen Fahrzeuge rund zwei Prozent des Thurgauer Fahrzeugparks aus – in den anderen Ostschweizer Kantonen liegt dieser Wert tiefer. Angesichts einer drohenden Strommangellage könnte dem Thurgau seine Vorreiterrolle jetzt zum Verhängnis werden. Bei einem durchschnittlichen Verbrauch von 20 Kilowattstunden pro hundert Kilometer und einer geschätzten Jahresdistanz von 15’000 Kilometern ergibt sich pro Elektroauto und Jahr ein Strombedarf von 3000 Kilowattstunden. Das entspricht in etwa dem Stromverbrauch eines Zweipersonenhaushalts. Sollten die Stromsparappelle des Bundes nicht ausreichen und der Strom im kommenden  Winter tatsächlich knapp werden, würde der Bundesrat in einem ersten Schritt «nicht absolut notwendige, energieintensive Geräte» verbieten oder einschränken.In einer Präsentation listet die Organisation für Stromversorgung in ausserordentlichen Lagen, kurz Ostral, etwa Klimaanlagen, Rolltreppen und Leuchtreklamen als solche Geräte auf. Elektroautos sind auf der Liste nicht zu finden. Sind sie also von einem Verbot gefeit? Auf Anfrage schreibt Thomas Grünwald, Mediensprecher des Bundesamtes für Wirtschaftliche Landesversorgung (BWL): «Die aufgeführten Anwendungen sind klar Beispiele.» Die Liste sage nicht, dass die genannten Geräte zwingend die ersten wären, die Einschränkungen zum Opfer fallen würden. Eine klare Antwort zu einem allfälligen Elektroauto-Verbot ist Grünwald nicht zu entlocken, aber: «Die Aufrechterhaltung der Mobilität ist in Zeiten einer Krise eine der Prioritäten.» Wie diese sichergestellt werden könne, hänge stark von der jeweiligen Situation ab.Sparpotenzial: ein halbes ProzentDeutlichere Worte findet Andrea Paoli. «Auf keinen Fall» würde der E-Mobilität im Winter der Stecker gezogen, sagt der Leiter der Thurgauer Abteilung Energie. Alle Elektroautos zusammen machten lediglich ein halbes Prozent des kantonalen Stromverbrauchs aus und das oberste Ziel sei weiterhin die Reduktion der CO2-Emissionen. Er sagt deshalb: «Dass man Elektroautos bald nicht mehr laden kann, ist ein abstruses Gerücht.» Weil viele Elektroauto-Besitzerinnen und -Besitzer eine Solaranlage auf dem Dach haben – «auch dank der Förderung des Kantons» – und ihr Fahrzeug mit eigenem Strom laden, sei das Sparpotenzial gering.  Etwas anders schätzt Stefan Lendenmann die Situation ein. Der Stabschef des Kantonalen Führungsstabs Appenzell Innerrhoden sagt: «Am Schluss ist jedes Prozent, das wir einsparen können, wichtig.»  Von einem generellen Elektroauto-Verbot hält aber auch er nicht viel. «Das wäre eine Tel-quel-Einschränkung übers Hosenbein.» Solche Massnahmen müssten genau evaluiert und bestätigt sein, bevor sie umgesetzt werden. «Ansonsten sind sie nicht sinnvoll und auch nicht zielführend.»Im schlimmsten Fall bleiben die Akkus leerDennoch: BWL-Mediensprecher Thomas Grünwald schreibt: «Wer ein Elektroauto hat, sollte sich auf alle Fälle Gedanken machen über seine Mobilität.» Die letzte zur Verfügung stehende Massnahme in einer Strommangellage seien zyklische Netzabschaltungen. Die Wahrscheinlichkeit eines solchen Szenarios einzuschätzen, hält Andrea Paoli für unmöglich – zu viele Faktoren seien ungewiss. Eine Rolle spielten die Temperatur im Winter, die mögliche Inbetriebnahme französischer AKW und der Import von Gas auch aus afrikanischen und nordischen Ländern. Schlussendlich hängen wir von Putin und vom Wetter ab.»  Dass einer der Ostschweizer Kantone dem Bundesrat zuvorkommt und strengere Massnahmen erlässt, um den Worst Case zu vermeiden, scheint unrealistisch. Jörg Köhler, der Chef des St.Galler Führungsstabs, sagt: «Die Frage nach einem Elektroauto-Verbot muss der Bund beantworten, sonst haben wir am Schluss ein interkantonales Chaos.»Verwaltungen wollen Eigenverbrauch reduzierenDer St.Galler Führungsstab beschränkt sich deshalb darauf, sich auf die Umsetzung allfälliger Massnahmen des Bundesrats vorzubereiten. Zudem wolle man in der Verwaltung Strom sparen. «Wir sind selbst Grossverbraucher und müssen deshalb ein Vorbild sein», sagt Köhler. Genau gleich geht der Kanton Appenzell Ausserrhoden vor. Man werde sich an die bundesrätlichen Vorhaben halten, richtet Mediensprecher Andreas Disch aus. Ausserdem lasse der Kanton Sparziele für die Verwaltung erarbeiten und bereite sich darauf vor, die wichtigsten Prozesse auch im Fall von Strommangel am Laufen zu halten.Der Kanton Appenzell Innerrhoden habe die möglichen Szenarien noch nicht im Detail ausgearbeitet, sagt Führungsstabs-Chef Stefan Lendenmann, aber: «Wir befassen uns mit dem Gedanken, zeitnah einen Fachstab Energiemangellage einzusetzen.»Heute sparen, im Winter profitierenEin solcher Fachstab besteht im Thurgau bereits. «Angedacht ist zum Beispiel, die Bürotemperatur und den Warmwasserverbrauch zu senken», sagt Paoli.Weil die Schweiz aktuell noch genug eigenen Strom habe, wirke sein Aufruf, jetzt schon zu sparen, vielleicht paradox. Aber: «Jede Kilowattstunde, die wir nicht brauchen, kann exportiert werden und führt dazu, dass in Deutschland weniger Gas gebraucht wird, um Strom zu erzeugen.» Diese Solidarität käme der Schweiz im Winter zugute, wenn die eigene Stromproduktion nicht mehr ausreiche.

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