Was hat Terrorismus mit dem St. Galler Rheintal oder der Ostschweiz zu tun? Nichts, solange er hier nicht stattfindet?Als zu Beginn des Jahres im Nahen Osten Kriegsgefahr aufkeimte und die Rhetorik direkt beteiligter Spitzenpolitiker das Schlimmste befürchten liess, reifte rasch die Vorstellung von neuen Terroranschlägen heran. Das Rheintal blieb bisher von islamistischem Terror verschont. Doch im Altstätter Bundesasylzentrum soll, wie sich vor wenigen Wochen herausstellte, ein mutmasslicher Dschihadist gelebt haben. Das bewog den Oberrieter SVP-Nationalrat Roland Rino Büchel zu Fragen an den Bundesrat, zum Beispiel diesen: Besteht das Risiko, dass auch Terroristen «über die Asylschiene» in die Schweiz einreisen? Falls ja, wie wird der Gefahr entgegengewirkt?Anders als der inzwischen verhaftete mutmassliche IS-Kämpfer, hat vorletztes Jahr jemand im Zug tatsächlich einen folgenschweren Anschlag auf Menschen verübt. Das schreckliche Ereignis in der Südostbahn in Salez dürfte vielen in Erinnerung geblieben sein. Ein Mann griff Passagiere mit einem Messer und einer brennbaren Flüssigkeit an, verletzte sieben Menschen, zwei von ihnen starben später. (Der Täter übrigens auch.)In den sozialen Medien versuchten Rechtsextreme sogleich, einen islamistischen Hintergrund zu konstruieren und unter Verwendung von Unwahrheiten Stimmung gegen Moslems zu machen. Zum Glück blieben die klassischen Medien nüchtern. Sie erbrachten eine gute Leistung, nährten keine Spekulationen, sondern hielten sich besonnen, in angemessenem Ton an die Fakten. Im Nachhinein erwies sich das als umso besser, als der ums Leben gekommene Angreifer ein Einheimischer war – ein Mann «mit typisch schweizerischem Namen», wie die Polizei mitteilte.Es war keiner jener Terrorakte, die in unserem Gedächtnis einen Spitzenplatz erhalten. Denn unwillkürlich bewerten wir die schreckliche Tat eines mutmasslich Verrückten (der ohne ersichtlichen Antrieb handelt) anders als den Angriff eines islamistischen oder links- bzw. rechtsextremen Terroristen.Welche Wirkung ein terroristischer Angriff auf uns, die schockierten Beobachter, entfaltet, hat stark mit der medialen Berichterstattung zu tun. Der amerikanische Psychologieprofessor und Autor Steven Pinker empfiehlt den Medien in seinem Buch «Aufklärung jetzt», ihre «zentrale Rolle im Showbusiness des Terrorismus» zu überdenken und ihre Berichterstattung «im Hinblick auf die objektiven Gefahren neu zu justieren». Langfristig liefen sich Terrorbewegungen tot, weil sie «mit ihrer Schmalspurgewalt ihre strategischen Ziele nicht erreichen, auch wenn sie regional Leid und Schrecken hervorrufen». Ich selbst hatte vor bald vierzig Jahren eine junge Arbeitskollegin, die 1981 bei einem Bombenanschlag in Genf schwer verletzt wurde. Damals beklagte das Land eine Serie von Anschlägen in Bern, Genf, Zürich und Lausanne. Es war die Zeit palästinensischer Extremisten, die Angst und Schrecken verbreiteten. Am 21. Februar dieses Jahres war es genau 50 Jahre her, dass ein Swissair-Flugzeug explodierte, weil wahrscheinlich eine palästinensische Terrorgruppe eine Zeitbombe an Bord gebracht hatte; 47 Menschen verloren das Leben. Schon damals ging es (auch) darum, solchen Taten in unserer Wahrnehmung und unserem Denken nicht das übermässige Gewicht beizumessen, das Terroristen sich erhoffen. Was weltweit stattfindende Terroranschläge anrichten, wird uns heute nach einem Ereignis erschreckend zuverlässig, sehr schnell und akribisch vor Augen geführt. Indem Worte und Bilder das blanke Entsetzen betonen, bildet sich in der eigenen Wahrnehmung jene lange (und verhängnisvolle!) Kette aus Einzelereignissen, die uns Terrorismus als besondere Bedrohung wahrnehmen lässt und uns womöglich empfänglich macht für Ideen, Vorschläge und neue Gesetze, die unsere offene Gesellschaft (eine Errungenschaft von unschätzbarem Wert!) bedrohen können.In zeitlicher Distanz zum letzten oder nächsten Terroranschlag kurz darüber nachzudenken, was der Terror mit uns anstellt, kann nichts schaden. Hierzu nochmals Steven Pinker mit einem bemerkenswerten Aspekt: Das gestiegene öffentliche Bewusstsein für Terrorismus, schreibt er, sei kein Zeichen dafür, wie gefährlich die Welt geworden sei, sondern gerade das Gegenteil. «Dass wir den Terrorismus auf der Liste der Bedrohungen ganz oben verorten, beruht teilweise auf einem bemerkenswert gefahrlosen Sicherheitsumfeld.» So sei in Westeuropa die (ohnehin schon winzige) Wahrscheinlichkeit, bei einem Verkehrsunfall ums Leben zu kommen, über hundertmal höher als die Wahrscheinlichkeit, das Opfer eines Terroranschlags zu werden. Doch zurück zum mutmasslichen IS-Kämpfer im Altstätter Asylzentrum. Der Bundesrat antwortete Roland Büchel im Wesentlichen so: Das Staatssekretariat für Migration (SEM) arbeitet eng mit dem Nachrichtendienst des Bundes (NDB), der Bundespolizei sowie den kantonalen Strafverfolgungsbehörden zusammen. Dossiers von Menschen, die in der Schweiz um Asyl ersuchen, übermittelt das SEM dem Nachrichtendienst, sofern entsprechende Hinweise auf ein mögliches Risiko für die innere und äussere Sicherheit der Schweiz schliessen lassen.Gegen Terror jeder Art vorzugehen und ihm vorzubeugen, ist natürlich wichtig. Angesichts von rechtsextremistischem Terror wie jenem vor zehn Tagen in der hessischen Stadt Hanau hätte gerade Büchels SVP einiges Potenzial, sich präventiv hervorzutun. Doch der Verzicht auf gefährliche rechtspopulistische Rhetorik und Scharfmacherei, wie sie in Kampagnen der Partei und einzelnen Auftritten ihrer Exponenten immer wieder vorkommen, widerspräche parteieigenen Mechanismen, die ja nicht auf Konsens, sondern auf Konflikte ausgerichtet sind.Gert Bruderer