21.03.2021

Technik widerspricht dem Auge

Beim Hochwasserschutz steht Technik öfter im Wettstreit mit (oft vermeintlich) gesundem Menschenverstand.

Von Gert Bruderer
aktualisiert am 03.11.2022
Gert BrudererDrei Beispiele: In Bächen herumliegendes Holz, der Mündungswinkel von Fliessgewässern, die Rolle der Feuerwehr bei Projekten.Ein wiederkehrender Vorwurf betrifft reichlich in Bächen herumliegendes Holz, das bei Hochwasser talwärts gerissen werde und von mangelndem Unterhalt zeuge. Doch der Fachmann widerspricht der Meinung, Bäche dürften möglichst kein Holz und Geschiebe talwärts führen. Am 16. Januar 2020 berichtete diese Zeitung ausführlich über das Thema. Eine Kernaussage lautete: Die Entfernung von Totholz aus dem Gerinne könne lediglich eine Verkleinerung des Problems bedeuten, sei aber keine Lösung. Denn bei Hochwasser sei der Frischholzanteil in Wildbächen teilweise sehr hoch. (Siehe «Viel Frischholz im Hochwasser» auf rheintaler.ch)Welcher Einflusswinkel ist der richtige?Wie wichtig ist der Mündungswinkel eines Baches, der in einen andern fliesst? Zum Beispiel trifft ein Stück nördlich des Auer Bahnhofs der Littenbach in einem beinah rechten Winkel auf den Binnenkanal. Die Gemeinde verneinte im Oktober 2016 die Anfrage aus der Bevölkerung, ob ein anderer Einflusswinkel einen positiven Einfluss hätte.Der «gesunde Menschenverstand» tendiert wahrscheinlich stark zur gegenteiligen Annahme: Flösse der Littenbach in spitzem Winkel in den Binnenkanal, würde dies das Weiter- und Fortfliessen des Wassers begünstigen.Nach Auskunft des Kantons hat die Gemeinde (mit einer letztlich unbedeutenden Einschränkung) recht. Habe der Littenbach Hochwasser und der Binnenkanal einen mittleren Wasserspiegel, führe der Kanal zu keinem Rückstau im Littenbach. Die verhältnismässig grosse Breite des Kanals sowie die geringen Längsgefälle und Fliessgeschwindigkeiten bewirkten, dass das Littenbach-Wasser nicht an der gegenüberliegenden Kanalböschung ansteht; es verursache somit keinen indirekten Rückstau im Littenbach. Flösse der Littenbach in spitzem Winkel in den Binnenkanal, hätte dies zwar einen positiven Einfluss, der gemäss Kanton jedoch «von untergeordneter Bedeutung» wäre.Im umgekehrten Fall (Hochwasser im Binnenkanal, mittlerer Abfluss im Littenbach) mündet der Bach – überspitzt gesagt – in stehendes Gewässer. Der Wasserspiegel des Kanals bewirkt den Rückstau bis ins Littenbach-Gerinne. Faktisch mündet der Littenbach somit nicht erst bei der eigentlichen Einmündung, sondern schon vorher, bei der Stauwurzel, in den Kanal. Der Mündungswinkel ist somit irrelevant.Gewässer sind sehr verschiedenAufgrund der stark unterschiedlichen Einzugsgebietsgrössen und -charakteristika treten in der Regel nicht gleichzeitig an beiden Gewässern massgebliche Hochwasserspitzen auf.Dass die nahezu rechtwinkligen Einmündungen in den Binnenkanal keine wesentlichen Probleme verursachten, zeigten die bisherigen Beobachtungen, schreibt der Kanton. Verschiedene seitliche Zuflüsse würden in einem Winkel von 75 Grad und mehr einmünden, z. B. Äächeli, Pfählmadgraben, Dürrenbach, Aubach, Oberfeldgraben, Dorfbach Rüthi oder Lienzerbach).Möglichst spitzwinklige Einleitstellen seien dann von grossem Vorteil, wenn ein grösseres Gefälle bestehe oder es sich um Gewässer mit viel Geschiebe handle. Bei grossen Gefällen hilft eine spitzwinklige Einmündung eine Erodierung des gegenüberliegenden Ufers des Vorfluters zu verhindern, ausserdem verringert ein spitzer Winkel das Risiko von Geschiebeablagerungen im Mündungsbereich.Der Littenbach hingegen trage praktisch kein Geschiebe in den Binnenkanal und die Längsgefälle sowohl des Littenbachs als auch des Kanals sind minimal, weshalb der Mündungswinkel, wie oben beschrieben, bedeutungslos ist.Das Beispiel zeigt: Gewässer sind sehr verschieden. Was für das eine richtig sein kann, trifft auf ein anderes vielleicht überhaupt nicht zu.Verhalten des Wassers mit Modellen nachbildenZur Sprache kommt gelegentlich auch die Rolle der Feuerwehr bei Hochwasserprojekten. Müsste sie in einem Gremium wie der Projektgruppe Hochwasserschutz Littenbach oder dem Littenbach-Äächeli-Unternehmen vertreten sein, wie teils auch Feuerwehrvertreter meinen? Bernecks Gemeindepräsident Bruno Seelos, der die genannte Projektgruppe präsidiert, antwortet: Weil das Littenbach-Äächeli-Unternehmen praktisch nur Unterhaltsarbeiten (wie Mähen, Bachputzen) ausführe, sei die ständige Mitwirkung der Feuerwehr in der Kommission nicht angezeigt. Bei baulichen Massnahmen, die über den Unterhalt hinausgehen, werde das Feuerwehrkommando im Rahmen des Bewilligungsverfahrens frühzeitig einbezogen. Neuralgische Punkte, die die Feuerwehr Berneck-Au-Heerbrugg beschäftigten, seien sehr früh angegangen und das Problem mit vorgezogenen Massnahmen 2016/17 gelöst worden (Kobelbrücke, Kropfackerbrücke, Joh.-Dierauerbrücke).Dass die Feuerwehr bei Hochwasserschutzprojekten wie jenem beim Littenbach-Äächeli der Projektgruppe angehört, sei laut Fachvertreter des Kantons nicht üblich, meint Bruno Seelos weiter. Oft sei es so, dass (wie im Projektgebiet ab dem Sämmler Schlossbrücke) die Wasserführung und Wassermenge mit baulichen Massnahmen massiv beeinflusst würden, weshalb das Verhalten des Wassers mit Modellen nachgebildet oder mit Computersimulationen berechnet werde. Die Feuerwehr werde wie üblich ins Notfallkonzept involviert, das in der Regel erarbeitet werde, sobald das Auflageprojekt rechtskräftig sei.

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