05.10.2021

Tarife trüben die Freude

Warum fällt es so schwer, für den öffentlichen Verkehr grenzüberschreitend ein einheitliches Tarifsystem zu schaffen?

Von Gert Bruderer
aktualisiert am 03.11.2022
Im St. Galler Rheintal wie im Vorarlberg bilden Bahn und Bus ein gutes Verbindungsnetz. Hingegen besteht für Fahrten über die Grenze ein grosser Nachholbedarf. Im neuen Agglomerationsprogramm für die Region Rheintal findet sich eine gewichtige Aussage: Ein «attraktives städtisches ÖV-Angebot» im Rheintal sei möglich. Bei der Busfahrt von Götzis nach St. Margrethen oder von Altstätten nach Dornbirn nicht umsteigen zu müssen, ist ebenso ein Ziel wie die teils starke Verkürzung der Fahrzeiten.Die Liste der angestrebten Verbesserungen ist ellenlang. Auf der Website von Agglo Rheintal sind die Vorstellungen detailliert beschrieben. Doch der Weg zu einer Grossregion Rheintal, die den Fahrgast an keine Grenze mehr denken lässt, ist steinig.Knacknuss ist Knacknuss gebliebenEine grosse Hürde sind die auseinanderklaffenden Tarife dies- und jenseits des Rheins. In Vorarlberg kostet das Jahresabo für freies Reisen im ganzen Bundesland umgerechnet knapp 400 Franken. In der Schweiz bezahlt ein in Rüthi lebender und in St. Margrethen arbeitender Pendler 1638 Franken für ein Jahresabo – für eine bestimmte Strecke also gut viermal so viel. Der hohen Preise zum Trotz trägt der ÖV-Nutzer in der Schweiz bloss etwa die Hälfte der tatsächlichen Kosten. Kein Wunder, hat St. Margrethens Gemeindepräsident Reto Friedauer, der dem Verein Agglo Rheintal vorsteht, ein einheitliches Tarifniveau schon vor Jahren als grosse «Knacknuss» bezeichnet.«Nachwehen der Covidkrise»Der Tarifverbund Ostwind könne nicht einfach sein Tarifniveau jenem des Vorarlberger Verkehrsverbunds anpassen, sagt Patrick Ruggli, Leiter des Amtes für öffentlichen Verkehr im Kanton St. Gallen, weil sonst die Abgeltungen stiegen, was Bund und Kantone nicht wollten. Als Vorsitzender der IBK-Kommission Verkehr (Internationale Bodenseekonferenz mit zehn Bundesländern bzw. Kantonen rund um den Bodensee) ist Ruggli bestens mit der Situation vertraut. Erschwerend komme nun hinzu, dass «zuerst die finanziellen Nachwehen der Covidkrise ausgestanden werden» müssten. Was schon seit einigen Jahren besteht, ist ein Zonensystem beidseits der Grenze. Bei diesem System hängt der Fahrpreis von der Zahl der durchfahrenen Zonen ab. Der Reisende hat einen Verbundfahrausweis, es gibt einen «Kombitarif». Wer elektronische Hilfsmittel verwendet, dem steht eine Vereinfachung bevor (siehe separaten Beitrag).Vereinheitlichung ist «hochkomplexe» AufgabeDie Tarife grenzüberschreitend zu vereinheitlichen, ist eine Aufgabe, die Patrick Ruggli als «hochkomplex» bezeichnet. Abgesehen vom finanziellen Aspekt ist von Bedeutung, dass der Blick zwangsläufig weit über den Wahlkreis Rheintal und das benachbarte Vorarlberg hinauszugehen hat. Denn der öffentliche Verkehr ist ein weitverzweigtes Gesamtsystem mit sehr vielen Beteiligten. Da sind zunächst die (insgesamt 15) Besteller von Bahn und Bus – also die Staaten (für unsere Region: Schweiz, Deutschland, Liechtenstein und Österreich), die Kantone, Bundesländer, Landkreise und Städte. Mit den SBB, den ÖBB, Thurbo, der SBB GmbH, DB Regio, DB Fernverkehr sowie der (in Deutschland bis Lindau tätigen) GoAhead sind sieben Eisenbahnverkehrsunternehmen an den fünf Grenzbahnhöfen (Schaffhausen, Konstanz, St. Margrethen, Lindau und Buchs) involviert, aber auch die Südostbahn, die Appenzeller Bahnen, die Bodensee-Oberschwaben-Bahn sowie die Hohenzollerische Landesbahn spielen eine Rolle. Die Zahl der einzubeziehenden grenzüberschreitenden Buslinien beläuft sich auf über zehn. Es gibt vier Tarifverbunde (Ostwind, Vorarlberger Verkehrsverbund, Hegau-Bodensee und den Bodensee-Oberschwaben Verkehrsverbund).Auch die Schifffahrt ist zu berücksichtigenDass der Bodensee nach Möglichkeit nicht ausser Acht zu lassen ist, bedeutet den Einbezug auch der Schifffahrt. Der See ist zwar abgrenzbar, doch speziell den Fähren kommt eine grosse Bedeutung zu (Konstanz – Meersburg, Romanshorn – Friedrichshafen, Konstanz – Friedrichshafen). Idealerweise sind auch sie in ein gemeinsames Tarifsystem einzubeziehen.[caption_left: Prinzip H: Die Idee ist, dass der Busfahrgast ohne umzusteigen von St.Margrethen bis Götzis und von Altstätten nach Dornbirn gelangt. (Bild: Gert Bruderer)] Neu: Jobticket ab FahrplanwechselAls besonderes Angebot soll mit dem Fahrplanwechsel im Dezember ein Jobticket (für grenzüberschreitendes Pendeln) eingeführt werden. Im neuen Aggloprogramm wird es als «erster Schritt in die richtige Richtung» bezeichnet. Mit dem Jobticket können Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer ÖV-Abos zu vergünstigten Preisen beziehen; einen Teil des Ticketpreises tragen die Unternehmen. Technisch möglich sind Monats- und Jahresabos. Die Details stünden aber noch nicht fest, sagt Sabina Saggioro, Geschäftsleiterin des Vereins Agglomeration Rheintal. Die Finanzierung durch den Kanton St. Gallen und das Land Vorarlberg müsse noch verhandelt werden, es gebe erst Absichtserklärungen. Der Amtsleiter des kantonalen Amtes für öffentlichen Verkehr, Patrick Ruggli, bestätigt: Der Kanton St. Gallen «kann sich für ausgewählte Bereiche wie zum Beispiel das grenzüberschreitende Jobticket vorstellen, Pendler oder Firmen zu unterstützen». Entsprechende Diskussionen seien auch mit Vorarlberg im Gange. Entscheide seien noch keine gefallen. Eine weitere Neuerung wird es bereits ab dem 1. November geben. Tickets für grenzüberschreitende Fahrten werden sich neu auf den Swisspass laden oder über eine App lösen lassen. Das gilt sowohl für Einzelbillette als auch für Abonnements. (gb)

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