30.08.2018

«Südamerika ist einfach anders»

Eine Facebook-Anfrage eines ehemaligen Kollegen liess aus einer Südamerikareise einen Job werden. Peter Sonderegger lebt und arbeitet seit 2016 in Buenos Aires.

Von Andrea C. Plüss
aktualisiert am 03.11.2022
Andrea C. PlüssDie Hitze mache ihm nichts aus, sagt Peter Sonderegger, als wir uns zum Gespräch in der Redaktion in Berneck treffen. Das Thermometer zeigt 34 Grad, eine Temperatur, die der Rheintaler aus dem argentinischen Sommer (Dezember bis März) durchaus gewohnt ist. Der 42-Jährige ist für drei Wochen in der Schweiz; einige Tage verbringt er auch bei seinen Eltern, die in der Auerstrasse in Berneck leben.Das Rheintal neigt zur Clusterbildung15 Jahre lebte Peter Sonderegger in Berneck und wusste bereits mit der Matura in der Tasche, dass er dort nicht bleiben würde. «Das Rheintal ist wie ein Cluster», sagt er und meint damit die Ballung von Unternehmen mit ähnlicher Ausrichtung. Wer etwas anderes suche, müsse wohl oder übel das Tal verlassen. Sonderegger, der nach eigenem Bekunden mit den Fremdsprachen an der Kanti mehr Probleme als Freude hatte, entschied sich für ein Studium der Politikwissenschaften in Lausanne, was fast ein wenig trotzig anmutet. Im Anschluss folgte ein Studium der Europawissenschaften in Berlin. Im Rahmen des Studiums verbrachte der gebürtige St. Galler ein Jahr in Kopenhagen und mehrere Monate in Krakau.Mit 30 Jahren ging Peter Sonderegger als Assistent des Chefvolkswirts der Deutschen Bank nach Frankfurt. Im Anschluss daran befasste er sich beruflich mit weltweitem Risikomanagement (bei der UBS Zürich) oder auch der Umsatzabsicherung gegen Währungsschwankungen für die Siemens-Sparte Building Technology in Zug. «Ich hatte schon im Studium Freude am Thema Finanzmarktregulationen», kommentiert er diese Berufsjahre heute.Vom Angestellten zum FirmengründerMit einem Studienkollegen aus Lausanne, Alexander Osterwalder, und dem Designer Alan Smith gründete Peter Sonderegger 2010 die Firma Strategyzer mit Sitz in Zürich. Ausgangspunkt dafür war die Doktorarbeit Alexander Osterwalders, die sich vereinfacht gesagt mit der Weiterentwicklung von Geschäftsmodellen befasst und dafür spezielle Analysetools anwendet. Die Unternehmensgründer berieten anfangs überwiegend Start-ups, Ingenieure oder Designer. Osterwalders erstes Buch zum Thema verkaufte sich eine Million Mal. «Die beiden hatten eine Vision, ich war der, der das Projekt auf den Boden gebracht hat», umschreibt Peter Sonderegger das Strategyzer-Triumvirat.Ende 2015 trat Sonderegger aus der Firma aus. Zu diesem Zeitpunkt beschäftigte Strategyzer 30 Mitarbeiter in acht Ländern. Den 40. Geburtstag im Mai 2016 vor Augen, wollte er reisen und entschied sich für den südamerikanischen Kontinent. Sonderegger flog nach Argentinien, um von dort aus den Kontinent zu bereisen. «Da ich mich gern unterhalte, musste ich Spanisch lernen, obwohl ich ja kein Sprachtalent bin», begründet er den vierwöchigen Sprachkurs, den er direkt nach seiner Ankunft in Buenos Aires absolvierte. Weit kam der «Aussteiger» auf seiner Südamerikareise vorerst jedoch nicht, denn eine Facebook-Anfrage eines früheren Kollegen, der sich dort aufhielt, brachte ihn direkt wieder zur Arbeit zurück. Statt eine Antwort via Facebook zu senden, traf Sonderergger den Mann in Buenos Aires auf ein Bier. Kurz darauf hielt er bereits wieder einen Vortrag über die Entwicklung von Geschäftsmodellen. Bald bat der Unterstaatssekretär für Unternehmertum Sonderegger darum, in Argentinien die Strategyzer-Methoden bekannt zu machen und dazu Workshops anzubieten. Der Schweizer, immer offen für Neues, sagte zu und die geplante Südamerikarundreise musste vorerst warten. Mit seiner neuen Firma Teamwins und drei Partnern berät Peter Sonderegger seitdem überwiegend Firmen und Banken in Argentinien und auch in Chile. Seit 2017 habe sich die Wirtschaftslage jedoch markant verschlechtert. «Das Leben hier ist anstrengend», sagt Sonderegger, der mittlerweile in Palermo, einem Quartier im Nordosten von Buenos Aires mit 225 000 Einwohnern lebt. Mit seiner argentinischen Frau Veronica Noemi Figueroa bewohnt er dort ein Reihenhaus. Eine Stunde dauert die Fahrt mit der U-Bahn ins Büro.Die gesellschaftlichen Unterschiede in Argentinien seien sehr gross, sagt Sonderegger. «Man vertraut hier einander nicht. Im Privatleben wurschtelt sich jeder irgendwie durch und im Geschäftsleben weiss man kaum, was auf einen zukommt.» Bürokratie beherrsche den Alltag, Rechtsunsicherheit und staatliche Willkür verhinderten Investitionen auch von Einheimischen. Die Wirtschaft liege praktisch am Boden.Gutes tun, ohne viel zu verdienenMehr als der Moloch Buenos Aires faszinieren den Rheintaler Provinzen wie Tucumàn oder Mendoza. In Mendoza hat Sonderegger kürzlich in ein veganes Milchprojekt investiert. Das Geldverdienen steht für den 42-Jährigen in Argentinien allerdings nicht im Vordergrund.Ein Workshop, den er mit sieben Unternehmerinnen aus einem Armenviertel in Buenos Aires durchführte, liess ihn umdenken. «Das war der beste Workshop, den ich je gemacht habe», sagt Peter Sonderegger. «Mit solchen Menschen zu arbeiten bringt etwas, da hinterlässt man einen Fussabdruck, da bewegt man etwas.» Ginge es ihm nur ums Geld, hätte er in der Schweiz bleiben müssen. Seine Firmenanteile bei Strategyzer hat Sonderegger Ende 2017 verkauft. In diese Welt kehrt er wohl nicht zurück. Eine Rückkehr in die Schweiz ist jedoch nicht ausgeschlossen. «Mir fehlen die Berge, die Seen und der Käse, sagt er, «und das Skifahren natürlich.» Der argentinische Winter sei regnerisch, kalt und einfach grauenhaft.

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