28.03.2022

Streiten lernen für den Frieden

Seit November sollen Konflikte im Schulhaus Rosenberg in St. Margrethen mit der Friedenstreppe gelöst werden.

Von Benjamin Schmid
aktualisiert am 02.11.2022
Wie wenig es braucht, dass aus Meinungsverschiedenheiten Kriege entstehen, hat Europa in den letzten Wochen erfahren. Doch gewaltvolle Konflikte entstehen auch im Kleinen. Die St. Margrether Schulsozialarbeitenden Antonio Secco und Alexandra Bösch setzen dort an, wo die Zukunft beginnt: im Kindergarten und der Primarschule.Gemeinsam eine Lösung erarbeitenKonflikte und Meinungsverschiedenheiten gehören zum Schulalltag, weshalb es wichtig ist, zu lernen, wie man mit diesen Situationen richtig umgeht. «Beim Konfliktlösungsmodell der Friedenstreppe lernen die Schülerinnen und Schüler, fair zu streiten und Konflikte gewaltfrei zu lösen», sagt Alexandra Bösch. Ziel sei es, dass sich beide Parteien verstanden fühlen, ihr Anliegen gehört werden und gemeinsam eine Lösung erarbeitet wird, mit der beide Seiten einverstanden sind.«Aber Frau Bösch, mir wönd doch uf d’Friedensstägä»Oft entstehen Konflikte aus Missverständnissen oder unterschiedlichen Bedürfnissen. «Sich die Zeit zu nehmen, um die Ursache eines Konfliktes herauszufinden, fehlt im Schulalltag oft», sagt Antonio Secco. Die Friedenstreppe schaffe den Schülerinnen und Schülern des Rosenbergs diesen geschützten Rahmen, in dem sie sich bewusst die Zeit auf der Treppe nehmen, um ihre Gefühle zu äussern und die des Gegenübers wahrnehmen zu können. Erst wenn ein Kind lernt, die eigenen Gefühle wahrzunehmen und auszusprechen, kann es sich in die Gefühle anderer hineinversetzen und lernen, empathisch zu sein. Bis anhin haben Alexandra Bösch und Antonio Secco nur positive Rückmeldungen erhalten. Bei einem Schlichtungsgespräch zwischen mehreren Kindern wollte die Schulsozialarbeiterin die Klärung wie gehabt in ihrem Büro durchführen, doch die Kinder sahen sie ganz entsetzt an und sagten: «Aber Frau Bösch, mir wönd doch uf d’Friedensstägä.» Natürlich brauche es noch Zeit und Übung, damit die Friedenstreppe zu einem Alltagsgegenstand wird und die Kinder und Jugendlichen sie selbstständig nutzen. Doch die Mehrheit der Schülerinnen und Schüler sehe den Sinn der Treppe. «Die Friedenstreppe ist sehr gut. So kann man einen Streit viel besser klären», sagt eine Drittklässlerin und ihre Kollegin ergänzt: «Ich finde die Treppe super, weil ich da endlich auch mal sagen kann, was ich mir von anderen wünsche.» Trotzdem hinterlässt sie bei der Jugend bereits jetzt ihre Spuren: Mit der Treppe vergehe ein Streit schneller und auch besser, sind sich zwei Viertklässler einig.Auch Klassenlehrerin Doris Radisavljevic ist begeistert: «Für mich stellt sie eine enorme Entlastung dar. Dadurch, dass die Vorgehensweise so gut und klar strukturiert ist, können schon einige Schülerinnen und Schüler bei Streitereien selbstständig auf die Treppe gehen.» Wichtig sei, dass man dranbleibe und sie den Kindern immer wieder in Erinnerung rufe.Per Handschlag Frieden schliessen«Die Friedenstreppe bietet Alternativen zur Gewalt und Hilfe zur Lösung von Konflikten», sagt Alexandra Bösch, «die Kinder lernen mit Konflikten konstruktiv umzugehen.» Zuerst tragen die Kinder, die in einen Streit verwickelt sind, den Konflikt nacheinander aus ihrer Sicht vor (erste Stufe). Auf der zweiten Treppe werden die eigenen Gefühle genannt und die Geschichte der Kontrahentin oder des Widersachers wird wiederholt. Danach besprechen sich die Streithähne und suchen nach fairen Lösungen (dritte Stufe). «Bei jedem Schritt dieses Prozesses erklimmen die Kinder eine nächste Stufe auf der Friedenstreppe, kommen sich dabei immer näher, bis sie gemeinsam den Gipfel (vierte Stufe) bezwungen haben und per Handschlag Frieden schliessen», sagt Alexandra Bösch.Selbst die Kontrolle überden Streit gewinnenDas Ritual der Streitschlichtung mittels Friedenstreppe führt einerseits dazu, dass sich die Streitenden schnell beruhigen und andererseits durch das Erzählen der eigenen Streitgeschichte ernst genommen fühlen. Ausserdem gelingt es den Kindern mit etwas Übung, selbst die Kontrolle über den Streit zu gewinnen und selbstständig zu einer Lösung zu gelangen, die zwei Gewinner hervorbringt. «Statt Anschuldigungen und Behauptungen senden die Kinder Ich-Botschaften aus und lassen sich gegenseitig aussprechen», sagt Antonio Secco. So trainieren Kinder Beziehungen aufzubauen, aufrechtzuerhalten und einen Konsens zu finden. Sie werden bessere Teamplayer und die Kommunikationsfähigkeit wird gestärkt.Die Friedenstreppe ist primär für Grundschulkinder gedacht. «Natürlich ist es auch für ältere Kinder oder Erwachsene hilfreich, wenn sie lernen ihre eigenen Bedürfnisse, Empfindungen, Ängste und Haltungen klar zu definieren und zu kommunizieren», sagt Alexandra Bösch.

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