Lieder gehören zu Weihnachten wie Guetzli und Tannenbaum. Selbst die unmusikalischste Seele kommt in diesen Tagen nicht um bestimmte Lieder herum. Zwei absolute Weihnachtsknüller ihrer jeweiligen Zeit sind und waren die Lieder «Stille Nacht» von Joseph Mohr und Franz Gruber aus dem Jahr 1818 und «Last Christmas» von der englischen Gruppe Wham aus dem Jahr 1984. Doch obwohl es sich bei beiden Liedern um echte Weihnachtsklassiker handelt, bestehen doch frappierende Unterschiede sowohl in ihren inhaltlichen Aussagen als auch im Umgang mit ihnen. Während «Stille Nacht» meist entweder selbst gesungen, in Gottesdiensten oder kirchlichen Veranstaltungen gespielt wird, läuft «Last Christmas» überwiegend im Radio und auf allen Weihnachtsmärkten, in Fahrstühlen und in den meisten Shoppingmalls. Bei «Stille Nacht» handelt es sich um ein dezidiert christliches Weihnachtslied, das in geradezu süsslich-kitschiger Weise die Geburt Jesu beschreibt. Allerdings haben die inhaltlichen Aussagen keinerlei Realitätsbezug zu einer normalen Geburt, nicht einmal zur legendarischen Geburt Jesu im Stall. Die Geschichte, die in «Last Christmas» erzählt wird, hat dagegen mit der christlichen Botschaft nichts zu tun. Im Lied geht es um eine verflossene Liebesbeziehung, die letzte Weihnachten in die Brüche ging. Weihnachten wird inhaltlich überhaupt nicht thematisiert, sondern dient lediglich als zeitlicher Aufhänger. Bei all ihrer Unterschiedlichkeit haben beide Lieder aber eines gemein: Sie berühren die Menschen, und zwar nicht nur für den Augenblick, sondern immer und immer wieder. Denn beide Lieder wecken Emotionen und Erinnerungen, eben weil man sie schon so oft und zu so vielen besonderen (Weihnachts-)Momenten gehört hat. Es sind nicht einfach nur Lieder, die auftauchen und wieder verschwinden, sondern Lebensbegleiter, die ganz viele Saiten zum klingen bringen, an die wir vielleicht im Augenblick des Hörens zunächst gar nicht denken: Die Erinnerung an den ersten eigenen Kuss, die erste verflossene Liebe. Die Erinnerung an Blockflötenspiel in der Familie oder die Erkenntnis, dass Babys in dieser Welt nicht mit einer blonden Barbie-Lockenmähne das Licht der Welt erblicken. Es sind nicht nur Weihnachtsmomente, die auftauchen, uns aber gerade an der Weihnacht immer wieder berühren. Und darum tauchen beide Lieder auch immer wieder auf, weil uns ohne sie etwas fehlen würde. Und ich freue mich, dass alle Jahre wieder nicht nur die Geburt des Heilands gefeiert wird, sondern auch sowohl «Stille Nacht» als auch «Last Christmas» ertönt.Jens MayerPfarrer in Balgach