Die Verbindungsstrasse von Heerbrugg nach Diepoldsau nennt der Volksmund «Stangenstrasse». Sie beginnt als Widnauerstrasse an der südlichen Ausfahrt der SBB-Unterführung in Heerbrugg. Hinter dem ersten Kreisel heisst sie Bahnhofstrasse bis zum Binnenkanal. Die Durchgangsstrasse fällt durch ihre einzigartige Gestaltung auf – mit einem breiten Mittelstreifen, den Stangen, grossflächigen Trottoirs und schmalen, gelben Bändern am Strassenrand.Der Kanton und die Anrainergemeinden (Widnau und Au) hatten das Konzept gemeinsam erarbeitet. Die Strasse bezeichnete Christa Köppel (Gemeindepräsidentin von Widnau) an der Eröffnungsfeier im Juni 2015 als einen «Teppich, der von Fassade zu Fassade ausgerollt wurde, und jetzt bespielt werden muss».Die Regeln, die auf diesem «Spielfeld» gelten, hat die Bevölkerung bis heute nicht ganz verstanden. Weil es keine Fussgängerstreifen gibt, glauben manche Passanten, sie hätten überall Vortritt. Velofahrer sehen in den gelben Bändern am Fahrbahnrand Velostreifen.Es gibt keine VelostreifenUngefähr fünf Jahre nach der Freigabe für den Verkehr zieht Werner Lendenmann (Leiter Verkehrstechnik der Kantonspolizei St. Gallen) ein positives Fazit: «Das Gestaltungskonzept hat sich bewährt», sagt er. Es gebe nicht mehr Unfälle als vor der Sanierung oder andernorts. Das treffe sowohl auf den Autoverkehr als auch auf Fussgänger und Velofahrer zu. «Zivil gekleidete Polizisten haben ein Miteinander beobachtet. Obwohl die Autofahrer Vortritt haben, lassen sie Fussgänger die Strasse queren.»Das hatten die Planer erreichen wollen. Auch wird im Durchschnitt langsamer gefahren als die erlaubten 50 km/h. «Die Velofahrer fühlen sich sicher.» Diese Aussage steht im Gegensatz dazu, dass häufig Velofahrer aufs Trottoir ausweichen. Der Velostreifen sei zu schmal, hört man sagen.«Das ist ein Missverständnis, ein Velostreifen ist nie gelb eingefärbt », sagt der Verkehrstechniker. «Falls er eingefärbt ist, in Rot.» Ausserdem müsse er mindestens 1,25 Meter breit sein. Im Kanton St. Gallen sind es deren 1,5.Mit dem Velo auf dem Trottoir zu fahren, ist verboten, sofern ein Verkehrsschild dies nicht ausdrücklich erlaubt. Das dürfen nur Kinder im Alter von bis zu sechs Jahren. Die Altersgrenze wird demnächst auf zwölf Jahre angehoben. Die Regel ist aber noch nicht in Kraft.Gleiches gilt für das Parkieren. «Ohne Schild gilt auf dem Trottoir Parkverbot», sagt Werner Lendenmann zu den häufig zweckentfremdeten breiten Gehwegen. Die seitlichen Bänder haben einen rein gestalterischen Sinn. Sie engen die Fahrbahn optisch ein. «Die Bänder haben keine rechtliche Bedeutung. Sie sind keine Velostreifen und dürfen von allen Fahrzeugen befahren werden», sagt Werner Lendenmann.An mehreren Stellen sind die gelben Streifen unterbrochen. Meist dort, wo Einlenker sind oder häufig Fussgänger queren. Wären die Bänder durchgezogen, könnte die Strasse wie eine Bobbahn wirken und zum schnelleren Fahren verleiten. Die Lücken heben den Eindruck auf, man fährt langsamer.Die Stangen auf den Mittelstreifen erfüllen den gleichen gestalterischen Zweck wie die Bänder. Zwischen den Stangen bleiben in Abständen Flächen frei. Die Autofahrer erkennen so, wo sie abbiegen dürfen oder wo sie vermehrt mit querenden Fussgängern rechnen sollten.Bahnhofstrasse hat eine VorbildfunktionDie Gestaltung der Bahnhofstrasse dient andernorts als Beispiel. «Wir bringen Erfahrungen ein, schauen aber immer die jeweiligen Gegebenheiten an», sagt Werner Lendenmann. Bei der Möblierung – in Widnau sind es zum Beispiel die Stangen – hat die Gemeinde eine grosse Eigenständigkeit. Der Kanton schaut darauf, dass seine Richtlinien eingehalten werden. Die Polizei überwacht, dass die Regeln zur Sicherheit aller Verkehrsteilnehmer beachtet werden.In Widnau haben die Planer ihr Ziel erreicht, den öffentlichen Raum aufzuwerten. Ein Indiz ist das Stangenfest im Juni, das die Kantonsstrasse als Einkaufsmeile zeigt.