16.08.2021

Stadtpolitik unter der SVP-Lupe

Die SVP wolle den umstrittenen Äusserungen ihres Präsidenten konkrete Vorstösse folgen lassen, sagt Mike Egger.

Von Interview: Gert Bruderer
aktualisiert am 03.11.2022
Marco Chiesa, der Präsident der SVP Schweiz, hat mit seiner Rede am Bundesfeiertag den «arroganten Städten» die Schuld am Stadt-Land-Graben zugewiesen. Was meint der in Berneck lebende, 29-jährige SVP-Nationalrat Mike Egger dazu?Mike Egger, Sie haben in Ihrer 1.-August-Rede nicht gegen die Städte gewettert wie SVP-Präsident Marco Chiesa es getan hat. Ich hoffe, Sie halten nichts von solchem Städte-Bashing.Mike Egger: Präzisierend sei gesagt, dass Marco Chiesa nicht gegen die Städte gewettert hat, sondern gegen linksgrüne Politik in den Städten. Diese gaukelt Möglichkeiten vor, die langfristig nicht tragbar und nicht nachhaltig finanzierbar sind.Das ist jetzt aber beschönigend. Ihr Parteipräsident sprach von «Luxus-Sozialisten», die mit arrogantem Verhalten die Entfremdung zwischen Stadt und Land herbeigeführt hätten. Die Städter wollten fremdes Geld verteilen und dem Rest des Landes vorschreiben, was es zu denken habe. Das ist doch Humbug.Marco Chiesa hat ein wichtiges Thema zur Sprache gebracht. Manchmal sind provokative Aussagen nötig, damit etwas geschieht. Natürlich ist das gegenseitige Verständnis und eine Zusammenarbeit zwischen Stadt- und Landbevölkerung wichtig. Mit Bezug auf die Politik darf Kritik meines Erachtens gegenseitig geäussert werden.Nach gegenseitigem Verständnis hat es aber nicht geklungen. Vielmehr hat Marco Chiesa mit Unterstellungen den Graben zwischen Stadt und Land vertieft.Es ging darum, das Thema zu lancieren. Überrissenen Luxusprojekten ist der Kampf angesagt.Welchen Luxusprojekten?Muss die neue St. Galler Zentralbibliothek wirklich 137 Mio. Franken kosten? Ist ein Tramprojekt für eine halbe Milliarde Franken für St. Gallen nötig? Gibt es nicht Alternativen zum bestehenden S-Bahn-Projekt S1 des Stadtrats, das vielleicht weniger kosten würde? Es kommen ja auch sonst immense Kosten auf uns zu. Das Projekt Engpassbeseitigung St. Gallen mit einer dritten Röhre im Rosenbergtunnel und Güterbahnhof-Zubringer wird die Kantone St. Gallen und Appenzell Ausserrhoden, die Stadt St. Gallen sowie die Gemeinde Teufen auf insgesamt 150 bis 200 Mio. Franken zu stehen kommen.Die genannten Beispiele sind zukunftsweisende Ideen oder Projekte …Die Stadt St. Gallen hat einen Steuerfuss von 141 Prozent, mit 188 Prozent die höchste Bruttoverschuldung im Kanton und die Sozialhilfequote von 4,4 Prozent ist in der Stadt St. Gallen gemäss Statistik von 2019 doppelt so hoch wie der kantonale Durchschnitt. Nebenbei bemerkt: Prestigebauten sollte es nicht nur in der Stadt, sondern auch auf dem Land nicht geben. Was zählt, ist Funktionalität; da heisst es, nicht weg-, sondern genau hinzuschauen.Wo liegt das Problem? Über alle grösseren Projekte wird doch demokratisch abgestimmt. Die werden nicht einfach beschlossen.Nein, aber die Stadträte sind daran zu erinnern, dass die Landbevölkerung das alles mitfinanziert. Weiter sollten die jeweiligen Vorlagen auch in Bezug auf die Kosten möglichst optimal vorbereitet werden; manchmal ist weniger mehr.Das mit der Finanzierung gilt doch umgekehrt genauso. Die Bevölkerung lebt zu drei Viertel in so genannten Metropolitanregionen, die als Motor der gesellschaftlichen und wirtschaftlichen Entwicklung gelten. Von den Städtern wird die ländliche Infrastruktur namhaft mitfinanziert, zum Beispiel der öffentliche Verkehr oder die Postversorgung. Die Landwirtschaft ist zudem stark subventioniert.Trotz der vielen Unternehmen mit Hauptsitz in der Stadt St. Gallen gehört die Stadt im kantonalen Finanzausgleich zu den grossen Profiteuren. Wie gesagt, soll kein Graben vertieft werden. Aber es ist wichtig, die städtische Politik genau zu analysieren. Unsere Partei wird diesbezüglich entsprechende Vorstösse vorbereiten.Marco Chiesa zieht mit kräftiger Rhetorik gegen die Städte und Städter ins Feld – und dann will die SVP analysieren? Das müsste doch umgekehrt ablaufen. Zuerst klären, dann reden.Natürlich ist schon vor den Äusserungen unseres Präsidenten genau hingeschaut worden, aber für die Präsentation von Ergebnissen ist es noch zu früh. Im Kanton nehmen wir zurzeit das System beim soziodemografischen Lastenausgleich, den interkantonalen Finanzausgleich sowie die Sozialhilfe unter die Lupe. Geprüft werden allfällige Obergrenzen für Bezüge.Zwischen Stadt und Land gab es schon immer Gegensätze. Der Anteil der landwirtschaftlich tätigen Bevölkerung ist auf zwei, drei Prozent geschrumpft. Der städtischen Bevölkerung ist die Landwirtschaft wohl nicht sonderlich nahe. Wäre nicht umso mehr ein gegenseitiges Verständnis nötig?Doch. Aber dazu gehört eben auch, die Politik sowohl in den Städten als auch auf dem Land zu hinterfragen. Schliesslich handelt es sich bei Ausgaben und Investitionen der öffentlichen Hand immer um Steuergelder. Trotz gegenseitiger Sympathie kann nicht einfach Geld massiv umverteilt werden. Gegen sinnvolle Projekte ist nichts einzuwenden. So war die SVP auch gern bereit, die Entwicklung des Olma-Areals oder den HSG-Campus mitzutragen. Die Landbevölkerung hat hierzu einen finanziellen Beitrag geleistet.Gegen die Stadttheater-Erneuerung hat die SVP aber das Referendum ergriffen.Das trifft zu. Aber wir haben nicht einfach Nein gesagt, sondern es wurden Alternativen im Kantonsrat vorgeschlagen.Zurück zum gegenseitigen Verständnis. Inwiefern könnte es besser sein?Die städtische Politik hat massgeblichen Anteil an immer neuen Vorschriften, etwa wenn es um die Umwelt oder die Landwirtschaft geht. Sie hat gegen das revidierte Jagdgesetz gestimmt, bei der Trinkwasser- und Pestizidinitiative kam es mit der Ablehnung, dank der starken Mobilisierung auf dem Land, zum Glück gut heraus, ebenso beim CO2-Gesetz.Der Begriff «Stadt-Land-Graben» tauchte schon vor einem Vierteljahrhundert in den Medien auf. Vielleicht wissen Sie, worauf ich hinaus will.Nein, ich war damals erst zwei Jahre alt.1994 scheiterten der Kulturförderungsartikel und ein Bundesbeschluss über erleichterte Einbürgerungen am Ständemehr. Die Städte und die Stimmberechtigten des Landes waren mehrheitlich dafür gewesen, aber das nötige Ständemehr wurde verfehlt.Wir sind in diesem Gespräch auf zwei verschiedenen Schienen unterwegs. Es geht um die linke Stadtpolitik, die nicht nachhaltig ist. Das Ständemehr steht nicht zur Debatte und hat sich in der Geschichte unseres Landes bewährt.Richtig, das Ständemehr hat sich bewährt. Trotzdem stellte der SVP-Präsident die Landbevölkerung als bedauernswert dar, die quasi unter dem Diktat der Städter und ihrer «Schmarotzerpolitik» leiden muss. Wegen des Ständemehrs hat die Landbevölkerung aber wachsenden Einfluss. Eine Verfassungsvorlage lässt sich rein rechnerisch mit gut 17 Prozent der Stimmen zu Fall bringen.Das ist ja die Idee; dass bei einer Verfassungsabstimmung nicht nur das Volksmehr, sondern eben auch eine Mehrheit der Kantone nötig ist.Genau, und das ist zu begrüssen. Gerade die Interessen der Landbevölkerung erhalten so bedeutend mehr Gewicht.Ausgleichendes Gewicht. Wobei zu sagen ist, dass bei Abstimmungen wegen eines fakultativen Referendums allein das Volksmehr entscheidet, weil solche Abstimmungen stets Gesetze und nie die Verfassung betreffen.Die SVP ist übrigens nicht auf dem Land entstanden, sondern in Zürich gegründet worden.Deshalb liegen uns ja auch die Städte sehr am Herzen. Wir thematisieren die ausgabenfreudige Politik in den Städten, damit am Schluss hoffentlich mehr im Portemonnaie der städtischen Bevölkerung bleibt und weniger bei den Politikern.

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