22.09.2021

Stadler gibt nicht klein bei

Ein angeblicher Formfehler kostet Peter Spuhlers Firma einen Milliardenauftrag der ÖBB. Doch Stadler wehrt sich.

Von Thomas Griesser Kym
aktualisiert am 03.11.2022
Mitte Jahr haben die ÖBB in einer Grossausschreibung Stadler den Zuschlag erteilt. Es geht um dringend benötigte Doppelstöcker für den S-Bahn- und Regionalverkehr in Niederösterreich und Wien. Der Rahmenvertrag umfasst bis zu 190 elektrische Triebzüge. Die Zeitung «Der Standard» taxierte das Volumen auf bis zu zwei Milliarden Euro. Gegen die Vergabe an Stadler hat Mitbewerber Alstom Beschwerde beim Bundesverwaltungsgericht eingelegt. Mit Erfolg: Sowohl Gerichtssprecher Dietmar Rust als auch ÖBB-Sprecher Bernhard Rieder bestätigen Angaben des «Standard», wonach das Gericht am 10. September 2021 die Erteilung des Zuschlags an Stadler für nichtig erklärt hat.Stadler wehrt sich und beschreitet den Rechtsweg«Der Standard» schreibt unter Berufung auf «ÖBB-Aufsichtsratskreise», Stadler habe sein Angebot mit elektronischer Signatur gezeichnet, aber mit der falschen: Verwendet worden sei statt die EU-Version die Schweizer Version, die in der EU nicht gültig sei. Und: Bei der Prüfung der Stadler-Offerte sei den ÖBB dieser Fehler entgangen. Andernfalls hätten sie das Angebot gar nicht zulassen dürfen und Stadler aus dem Vergabeverfahren ausschliessen müssen. ÖBB-Sprecher Rieder formuliert es so: «Der Prozess der Auftragsvergabe wurde vom Bundesverwaltungsgericht wegen eines Formfehlers aufgehoben. Dabei handelt es sich um einen Signaturformfehler.» Auf Nachhaken sagt er: «Die Signatur ist vom Anbieter falsch gesetzt worden», also von Stadler. Gerichtssprecher Rust spricht ebenfalls von einem «Formfehler im Zusammenhang mit der Signatur». Ausserdem habe der Richter auch noch einen zweiten Punkt beanstandet, auf den Rust nicht näher eingeht. Stadler selber weist alle Vorwürfe zurück und äussert die Ansicht, ein «rechtsgültiges Angebot» abgegeben zu haben. Nun aber habe das Bundes­verwaltungsgericht «aufgrund eines angeblichen Formfehlers bei der qualifizierten elektronischen Signatur des Angebots» den Zuschlag der ÖBB «überraschend für nichtig erklärt».Stadler will das nicht auf sich sitzen lassen. Der Schienenfahrzeughersteller betont, er habe «diese elektronische, von den zuständigen internationalen Behörden anerkannte Signatur schon hundertfach bei der Teilnahme an Ausschreibungen im EU-Raum verwendet. Zahlreiche so unterzeichnete Angebote wurden damit gewonnen, auch solche österreichischer Bahnen.» Die Firma von Patron Peter Spuhler kündigt an, sie werde «sämtliche ihr zustehenden Rechtsmittel gegen diese erst­instanzliche Entscheidung des  österreichischen Bundesverwaltungsgerichts ausschöpfen». Und: «Stadler unterstützt die ÖBB weiterhin und geht davon aus, dass dieser vom Gericht beanstandete angebliche Formfehler korrigiert wird.»Alstom hatte mit seiner Beschwerde die Auftragsvergabe in Zweifel gezogen und unter anderem einen angeblichen Interessenkonflikt der ÖBB geltend gemacht, weil diese seit 2017 mit Stadler in einem Joint Venture zum Unterhalt der Flotte der privaten ÖBB-Konkurrentin Westbahn verbandelt sind. Der angebliche Fehler mit der Sig­natur wurde entdeckt, weil der Richter im Zuge der Nachprüfung des Vergabeprozesses auch die Legitimation des von Stadler eingereichten und von der ÖBB zugelassenen Angebots prüfte.Die ÖBB fahren auf einen Engpass zu Unabhängig von der Antwort auf die Frage, ob Stadlers Angebot rechtsgültig ist oder nicht, fahren die ÖBB wegen der Verzögerung auf ein gravierendes Verkehrsproblem zu: Ihr Plan, die ersten neuen Doppelstöcker  Mitte Dezember 2024 auf die Schienen zu bringen, ist kaum zu halten. ÖBB-Sprecher Rieder räumt ein: «Es wird schwierig.» Damit steht der fix vereinbarte Ausbau des Bahnangebots im Osten Österreichs auf der Kippe. Sollte ein Richter letztinstanzlich zum Schluss kommen, dass Stadler im Recht ist, ist der Weg frei für die Auftragsvergabe. Auch die ÖBB können gegen den erstinstanzlichen Richterspruch Einsprache einlegen. Sollte am Verdikt hingegen nicht gerüttelt werden, müssen die ÖBB die Ausschreibung von Grund auf neu ausrollen. Laut Rieder werden die ÖBB die Lage nun zunächst analysieren. Dabei fragt sich, welche Alternativen zu Stadler die ÖBB in einer Neuausschreibung überhaupt haben. Der bisherige Haus- und Hoflieferant Siemens hatte an der ursprünglichen Ausschreibung gar nicht teilgenommen, weil sich der deutsche Hersteller wegen der Bauweise seiner Züge ausserstande sah, diese mit der geforderten Anzahl Sitzplätze zu bestücken. Und Alstom als Nachfolgegesellschaft Bombardiers war von den ÖBB vom Doppelstöckerauftrag ausgeschlossen worden. Dies wegen des Debakels mit den 46 Bombardier-Einstöckern für Vorarlberg und Tirol, die bis heute keine Zulassung haben. Elektronische Signatur In der Schweiz ist die elektronische Signatur im Bundesgesetz über die elektronische Signatur (ZertES) geregelt. Die Anforderungen sind vergleichbar mit jenen der eIDAS-Verordnung der EU über elektronische Identifizierungs- und Treuhanddienste für elektronische Transaktionen im Binnenmarkt. Qualifizierte schweizerische Zertifikate werden in EU-Ländern jedoch nicht automatisch anerkannt und umgekehrt. Die gegenseitige Anerkennung elektronischer Signaturen erfordert den Abschluss internationaler Abkommen. Bisher hat die Schweiz aber noch kein solches Abkommen abgeschlossen. (red)

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