24.12.2020

St. Gallen – einer der knausrigsten Kantone

Im Kanton St. Gallen sind die Krankenkassenprämien weitaus höher als bei den Bündnern oder Liechtensteinern. Dies zeigt eine Studie.

Von Christoph Zweili
aktualisiert am 03.11.2022
Die «Stiftung Zukunft.li» wirft einen kritischen Blick auf das Verhältnis der Schweiz zu Liechtenstein: Die Studie aus dem «Ländle» spricht von einer guten Freundschaft, aber auch «von einem Verhältnis mit Ecken und Kanten». Da und dort sei «etwas Sand ins gut geschmierte Beziehungsgetriebe geraten», bilateral laufe es nicht mehr ganz so rund und bei den einen oder anderen Abkommen habe es Misstöne «hüben wie drüben» gegeben, schreibt Stiftungsratspräsident Peter Eisenhut, bis 2007 Chefökonom der Industrie- und Handelskammer St. Gallen-Appenzell. Exemplarisch erwähnt er im Vorwort auch Reibereien beim Gesundheitswesen. Für die Schweiz und insbesondere den Kanton St. Gallen interessant ist eine breit angelegte Studie der Denkfabrik, die erhebliche Unterschiede bei der Finanzierung der Gesundheitskosten aufzeigt.Gesetzlich fixierter ArbeitgeberbeitragIn Liechtenstein leistet die öffentliche Hand einen Beitrag an die Krankenkassen. Sie entlastet einkommensschwache Versicherte durch die Prämienverbilligung und kommt für 90 Prozent der Kosten bei der obligatorischen Krankenversicherung für Jugendliche bis 16 Jahre auf. Darüber hinaus übernimmt sie 55 Prozent der stationären Behandlungskosten in Spitälern der regionalen Grundversorgung und leistet Beiträge an das Landesspital zur Abgeltung gemeinwirtschaftlicher Leistungen. In der Schweiz beteiligen sich die Kantone über Prämienverbilligungen, Beiträge an gemeinwirtschaftliche Leistungen der Spitäler sowie – gleich wie in Liechtenstein – durch eine 55-prozentige Kostenübernahme für stationäre Behandlungen an der Finanzierung der Gesundheitskosten.Einen gesetzlichen Arbeitgeberbeitrag kennt das schweizerische System nicht, genauso wenig wie direkte Subventionen an die Krankenkassen. Mit der Subventionierung der Krankenkassenprämien entlasten die Kantone die Haushalte in bescheidenen wirtschaftlichen Verhältnissen. Allerdings gibt der Bund Mindeststandards vor, im laufenden Jahr müssen die Prämien von Kindern bei anspruchsberechtigten Haushalten neu um mindestens 80 Prozent verbilligt werden.Die Schweizer Kantone stufen die Einkommensgrenze für den Anspruch auf Prämienverbilligung in der Regel bezogen auf den Zivilstand und die Anzahl Kinder ab. Anders in Liechtenstein: Da Kinder keine Krankenversicherungsprämien zahlen, erfolgt die Abstufung einzig nach Zivilstand und Einkommen. Ab 2020 hat der Landtag die Prämienverbilligung zudem deutlich erhöht: Einerseits wurde die massgebende Einkommensgrenze angehoben, andererseits wird ein höherer Anteil der Prämie subventioniert.Für die Liechtensteiner Studie wurden die Jahresprämien von sieben Modellhaushalten berechnet: 2019 unterschieden sich die Belastungen der Versicherten in Liechtenstein und den Kantonen St. Gallen und Graubünden, einem der schweizweit grosszügigsten Kantone, markant. Thomas Lorenz, Geschäftsführer der Stiftung, spricht von «beeindruckenden Vergleichszahlen», staunt über die grossen Prämienunterschiede in der Schweiz und «den harten Kurs in St. Gallen», der zu einem wenig schmeichelhaften Studienresultat führt. Ob bei einer alleinstehenden Rentnerin mit einem Bruttoeinkommen von 45000 Franken, einem Paar mit zwei Kindern (Einkommen 70000 Franken), einer Alleinerziehenden mit zwei Kindern (60000), einem Paar mit vier Kindern (85000), einem Paar mit Kind und jungem Erwachsenen (70000), einem jungen Erwerbstätigen (38000) oder einem Paar ohne Kinder (60000): In allen Modellhaushalten war die Prämienbelastung im Kanton St. Gallen am höchsten.Ostschweizer Kantone unter juristischem DruckDie Erklärung für die schlechte Platzierung liegt in der Vergangenheit: Im Kanton St. Gallen gingen die Massnahmen der Sparpakete II (2012) und III (2013) zu Lasten der ordentlichen Prämienverbilligung. Trotz steigender Krankenkassenprämien erhielten Alleinstehende, Familien oder Rentnerpaare in der Folge weniger Prämienverbilligung oder verloren ihren Anspruch ganz – im Jahr 2019 war nur noch anspruchsberechtigt, wer mehr als 16 bis 20 Prozent des Einkommens für die Krankenkassenprämien verwenden musste.Dann die Kehrtwende 2019: Der Kanton St. Gallen und beide Appenzell gaben Gegensteuer. Sie wurden grosszügiger bei den Prämienverbilligungen für Familien – nicht freiwillig, sondern quasi unter juristischem Druck korrigierten sie die Obergrenze der zur Verfügung stehenden Gelder nach oben, um Gerichtsprozesse wie im Kanton Luzern zu verhindern. Dieser war vom Bundesgericht gerügt worden, weil er zu wenigen Leuten Prämienverbilligungen auszahlte.Im November 2019 stimmte die St. Galler Stimmbevölkerung einer Aufstockung der Prämienverbilligung um jährlich zwölf Millionen Franken zu, um die unteren und mittleren Einkommen zu entlasten. Um die Gelder ab 2020 einsetzen zu können, brauchte es eine Änderung des kantonalen Gesetzes, in dem eine Maximalgrenze für die Prämienverbilligung festgeschrieben war. Auf Anfrage unserer Zeitung liess die Liechtensteiner Stiftung die sieben Modellhaushalte für das laufende Jahr mit den neuen Prämienverbilligungen noch einmal berechnen.Das Resultat erstaunt, denn materiell hat sich kaum etwas verändert: «Mit der Volksabstimmung und den korrigierten Bezugsberechtigungen profitieren zwar gewisse Haushalte von der neuen Prämienverbilligungs-Regelung im Kanton St. Gallen, der Prämienanteil ist bei allen Modellhaushalten im Vergleich zu Liechtenstein und Graubünden aber nach wie vor am höchsten», sagt Gesundheitsökonomin Beatrice Mäder von der Polynomics AG in Olten, verantwortlich für die Berechnung.Prämienanteil auch 2020 am höchstenIst der Kanton St. Gallen folglich noch immer einer der schmörzeligsten Schweizer Kantone, was die Prämienverbilligungen angeht? «Er liegt zumindest am Übergang zum hintersten Drittel», sagt Peter Altherr, Leiter Amt für Gesundheitsversorgung im Kanton St. Gallen, sybillinisch. «Mit der Anpassung 2019 wurde aber der Bezügerkreis für Familien ausgeweitet. Die zusätzlichen Mittel verschaffen uns überdies für ein paar Jahre Luft, damit wir die Rahmenbedingungen für den Bezug der Prämienverbilligungen nicht mehr ständig verschärfen müssen.» Im Jahr 2018 bezogen 66 555 Personen ordentliche Prämienverbilligungen (ohne Bezüger von Ergänzungsleistungen und Sozialhilfe), 2019 waren es noch 56 185 Personen – im laufenden Jahr dürfte die Zahl der Bezüger aber wieder höher liegen, genaue Zahlen gibt es aber noch nicht.Klar aber ist: Der Kanton St. Gallen wird noch einmal nachbessern müssen. Zum einen steht die Prämien-Entlastungs-Initiative der SP im Raum, die die maximale Prämienbelastung auf zehn Prozent des Haushaltseinkommens beschränken will. Der Bundesrat stellt der Initiative einen indirekten Gegenvorschlag mit drei Varianten gegenüber, die an Bedingungen geknüpft sind – die Vernehmlassung bei den Kantonen dauert noch bis zum 4.Februar 2021.«Für uns gibt es nur die Midi- oder Maxi-Variante», sagt Amtsleiter Peter Altherr. Demnach muss der grösste Ostschweizer Kanton mit einem finanziellen Mehraufwand von mindestens 30 Millionen bis maximal 90 Millionen Franken rechnen. Im Budget 2020 ist aktuell ein Betrag von rund 260 Millionen Franken für Prämienverbilligungen im laufenden Jahr vorgesehen, davon stammen 170 Millionen vom Bund und 90 Millionen Franken vom Kanton.

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