Benjamin SchmidSeit Jahren zeichnet sich ein Fachkräftemangel in der Pflegebranche ab. Einerseits fehlen Ausbildungsplätze, andererseits braucht es vernünftige Arbeitszeitmodelle, gute Löhne und Weiterbildungsmöglichkeiten, um Fachkräfte im Beruf zu halten. Der demografische Wandel in der Bevölkerung sowie auf dem Arbeitsmarkt macht der Branche zu schaffen. Es fehlt an gut ausgebildetem Nachwuchs, der die in Rente gehenden Fachkräfte ersetzt.Im Spital Altstätten wurden frühzeitig Massnahmen ergriffen. Gemäss Manuela Ortner, Leiterin Ressort Pflege & MTT (Medizin-Technisch-Therapeutische Berufe), war der erste Schritt, das Miteinander zu fördern und die Ausbildung eigener Fachkräfte zu verstärken. Gemäss Martina John Appenzeller, Stationsleiterin Wochen- und Tagesklinik, sind ein gutes Arbeitsklima, vernünftige Arbeitszeiten, Wertschätzung für die geleistete Arbeit sowie der Einbezug der Mitarbeiter bei wichtigen Themen entscheidend für die Mitarbeiterzufriedenheit und letztlich für eine geringe Fluktuation. Anders als in vielen Spitälern und Pflegeeinrichtungen, kündigen die Mitarbeitenden des Spitals Altstätten sehr selten ihre Stelle. «Erst kürzlich wurden zwei Mitarbeiterinnen nach 37 respektive 43 Dienstjahren pensioniert», sagt die Stationsleiterin.Springerinnen für NotfälleNatürlich komme es innerhalb der Spitalregion teilweise zu Personalmangel, vor allem wenn mehrere Angestellte gleichzeitig schwanger werden.Um für Notfälle und Engpässe besser vorbereitet zu sein, wurde Mitte 2016 ein Springerpool aufgebaut. Aktuell sind sechs diplomierte Pflegefachpersonen und eine Fachfrau Gesundheit als Springer angestellt. Obschon die Einarbeitungszeit der Springer dreimal so lange dauert wie bei regulär Angestellten und sowohl die Organisation als auch die Durchführung der Einsätze einen Mehraufwand bedeuten, entlastet der Pool den Spitalverbund. «Die Springer müssen flexibel und vielseitig sein und die Abläufe kennen», sagt Manuela Ortner. Ansonsten werden sie wie eine eigene Abteilung geführt und arbeiten nach Dienstplan. Einziger Unterschied zum Normalbetrieb ist, dass die Springerinnen spätestens vier Stunden vor Arbeitsbeginn den Arbeitsort zugewiesen bekommen.Das Lean-Management hat seinen Ursprung in den Vierzigerjahren in Japan. Toyota konnte mit der Massenproduktion von Henry Ford nicht mithalten und suchte nach Lösungen. Dabei stiess man darauf, dass sich mit der Eliminierung von Verschwendung, fliessenden Prozessen und einheitlichen Arbeitsweisen nicht nur die Qualität kontinuierlich verbessern, sondern auch die Produktivität steigern liess. In den Achtzigerjahren wurde das Lean-Management auch auf andere Branchen und Dienstleistungsbetriebe erfolgreich angewandt. Vor einem Jahr fand es auch den Weg ins Spital Altstätten, als erste Pflegeinstitution im Kanton. «Da es sich beim Lean-Management um eine Philosophie handelt, ist es wichtig, dass es alle Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter verinnerlichen», sagt Manuela Ortner und ergänzt: «Besonders das Kader muss mit gutem Beispiel vorangehen und die Philosophie leben.» Ziel sei es, Verschwendungen zu vermeiden, um mehr Zeit für die Patienten zu haben. Die einzelnen Stationen werden in Zonen aufgeteilt und jeweils von zwei Pflegenden verwaltet. Kernstück dieser Arbeitsweise bildet der «Lean»-Pflegewagen, den alle Pflegenden bekommen. Dieser Wagen wurde in Zusammenarbeit mit den Pflegerinnen und Pflegern entwickelt und beinhaltet nebst Medikamenten, Kompressen und weiterem Pflegematerial auch alles, was für die Pflegedokumentation benötigt wird. «Damit lassen sich nicht nur unnötige Arbeitswege, sondern auch unnötige Arbeitsabläufe vermeiden. Der Aufwand für die immer komplexer werdende Dokumentation fällt geringer aus und dennoch sind die Pflegenden präsenter und näher bei den Patienten», sagt Ortner. Nebst dem Pflegewagen und der Unterteilung der Station in Zonen, gehören stündliche oder zumindest tägliche Feedback- und Informationsrunden zur Tagesordnung. Dabei werden Engpässe aufgezeigt, Probleme angesprochen, aber es wird auch nach Lösungen gesucht. «Die Mitarbeitenden sind stets angehalten, mitzudenken und ihre eigenen Vorschläge einzubringen», sagt die Leiterin Ressort Pflege & MTT. Aktuell wird das Lean-Management im Spital Altstätten und im Spital Walenstadt auf je einer Station angewendet. Erste Rückmeldungen sind positiv und der Mehrwert für alle Beteiligten ist spürbar, weiss Manuela Ortner.Als eigenständiger Beruf anerkanntObwohl der Fachkräftemangel in Altstätten kaum spürbar ist, mahnen sowohl Manuela Ortner als auch Martina John Appenzeller davor, sich in Sicherheit zu wiegen. Nebst ausreichend Ausbildungsplätzen, neuen Methoden und effizienteren Arbeitsabläufen ist und bleibt das Arbeitsklima entscheidend. Gemäss Martina John Appenzeller ist die Pflege darüber hinaus mehr als nur Arbeitstätigkeit und beinhaltet Gespräche ebenso wie zwischenmenschliche Beziehungen.Es sei wichtig, dass es zu keinem Stillstand im Gesundheitswesen komme, die Pflege nicht in eine Zwei-Klassen-Gesellschaft zurückfalle und alle Patienten die gleiche Pflege bekommen. «Es kann nicht sein», sagt Martina John Appenzeller, «dass gut ausgebildetes Pflegepersonal, trotz seines grossen Wissens, seiner Kompetenz und Erfahrung ständig von Ärzten abhängig ist.» Daher sei es an der Zeit, sind sich die beiden Frauen einig, dass die Pflege als eigenständiger Beruf anerkannt und nicht weiter als Hilfsberuf angesehen werde.