17.08.2021

«Soll es endlich vorwärts gehen?»

Die Frage hat Altstätten gegolten. Nicht erst vor zwei Jahrzehnten. Schon 1945.

Von Gert Bruderer
aktualisiert am 03.11.2022
Gert BrudererNur kurz zur Erinnerung: Viele Jahrzehnte lang war Altstättens Regierung eine katholisch-konservative. Auf dem Weg ins neue Jahrtausend gelang es anderen politischen Kräften – auch dank der Einsicht früherer Machthaber –, Stück für Stück eingebunden zu werden und den Stadtrat in ein Gremium zu verwandeln, in dem auch a plus und die Grünen schon vertreten waren.1945, als die Katholisch-Konservativen das Sagen hatten und nicht nur mit klarer Mehrheit, sondern auch mit einem eigenen Gemeindeammann an der Spitze regierten, sahen sie sich plötzlich durch einen Freisinnigen herausgefordert: Dr. Willi Rohner, zu jener Zeit Chefredaktor der Tageszeitung «Der Rheintaler», hatte sich zur Kandidatur bewegen lassen. In einem heftig geführten Wahlkampf unterstellten die Katholisch-Konservativen den Freisinnigen, mit den Kommunisten eine Wahlallianz gebildet zu haben.«Ausgezeichnete geistige Ausstattung»Anders als in jüngerer Vergangenheit, als im «Rheintaler» bereits eine ausgeprägte Meinungsvielfalt herrschte, erwies sich die Lokalzeitung 1945 klar als Parteiblatt, das sich für den freisinnigen Kandidaten stark machte und die Argumente der Gegenpartei mit spitzer Feder und eleganten Sätzen zu entkräften suchte. Im Grunde waren all die «Stimmen zu den Gemeindewahlen» eine einzige, denn ihr einheitlicher Zweck bestand darin, für den 38-jährigen Kandidaten Willi Rohner zu werben, der «eine ausgezeichnete geistige Ausstattung mit ins Amt» bringe, wie jemand schrieb.Unter dem Titel «Soll es in Altstätten endlich vorwärts gehen?» unterstützte der «Rheintaler» die Kampfansage an das jahrzehntelange Gemeindeamtsmonopol der Katholisch- konservativen Partei. Rohners Gegner, wurde ausgeführt, seien «mit Geld weit weniger sparsam als mit Argumenten».Auch der «konservative Bürger», der sich zu Wort meldete, sprach sich zugunsten des freisinnigen Kandidaten aus, indem er meinte: «Für die drittgrösste Gemeinde im Kanton kann nur der Beste unter den Guten in Frage kommen, ob konservativ oder nicht konservativ, ob Akademiker oder nicht.» Am 17. März 1945, kurz vor den Wahlen, war im «Rheintaler» in fett gedruckten Buchstaben zu lesen: «Man erweist Herrn Hans Keel keinen Dienst!» Über Rohners Gegenkandidaten wurde geschrieben, er sei «ein ausgezeichneter Gemeindekassier, der rechte Mann am rechten Ort. Warum ihn mit aller Gewalt von diesem Posten wegnehmen, der ihn befriedigt und den er souverän beherrscht?» Und weiter: «Ich möchte dem konservativen Kandidaten keinesfalls nahetreten, aber es ist doch eine durchaus offene Frage, ob ein guter Gemeindekassier ohne weiteres auch ein guter Gemeindeammann sein wird.»Ein weiterer Autor verwies unter dem Titel «Glückliches Altstätten!» auf das Kriegsgeschehen, indem er meinte: «Eine ganze Welt fällt in Schutt und Asche. In Altstätten wird aber wie ehedem drauflos politisiert.» Und doch würden auch den Altstättern in der Nachkriegszeit schwere und schwerste Erschütterungen nicht erspart bleiben. Die Ausführungen mündeten in die Frage: «Was ist klüger, verantwortungsvoller und weitblickender: für diese kommenden schweren Zeiten alle Kräfte zusammenzuspannen und den Fähigsten an die Spitze des Gemeinwesens zu stellen, oder die Dinge beim Alten zu lassen? Dürfen wir uns diese Kräftevergeudung leisten, dürfen wir grosse Volkskreise willkürlich von der Mitarbeit und Mitverantwortung an den Gemeindegeschicken ausschliessen?»«Propaganda muss sich bezahlt machen»«Hageldicht prasseln die Schlagworte», befand der «Rheintaler». In einem Flugblatt werde Gemeindekassier Joh. Keel als «bescheidener Mann aus dem Volk» gegen «unseren Kandidaten» Dr. Willi Rohner ausgespielt. Aber auch dieser sei ein bescheidener Mann aus dem Volk und stolz darauf. «Wenn er Gelegenheit hatte, sich eine umfassende Bildung aneignen zu dürfen, so ist das wahrlich kein Nachteil, sondern ein eminenter Vorteil für die Gemeinde.»«Im übrigen», fragte der «Rheintaler» keck: «Sind die Männer, die die Kandidatur Joh. Keel ausgeheckt und der konservativen Versammlung mundgerecht gemacht haben, auch sog. bescheidene Männer aus dem Volk? (…) Schaut euch einmal um und denkt darüber nach!» In Altstätten gelte ja ein geflügeltes Wort: «Der Altstätter Gemeindeammann wird an der Heidenerstrasse und an der Bahnhofstrasse gemacht!»Eine solche Propaganda, wie sie von konservativer Seite betrieben werde, brauche Geld, viel Geld «und muss sich doch irgendwie wieder bezahlt machen!» Ob Joh. Keel-Kolb deshalb mit 950 Stimmen gewann und Willi Rohner «nur» 864 erhielt?Rohner präsidierte sogar den StänderatVon 1958 bis 1960 gehörte Rohner, ein Spezialist für Wirtschafts- und Finanzfragen, dann doch noch dem Altstätter Stadtrat an, doch seine politische Karriere war überregional ausgerichtet. Von 1942 bis 1968 wirkte er als St. Galler Kantonsrat, von 1951 bis 1952 gehörte er dem Nationalrat und von 1952 bis 1971 dem Ständerat an, den er im Amtsjahr 1966/1967 sogar präsidierte. Für den redaktionellen Inhalt der Tageszeitung «Der Rheintaler» war Willi Rohner vor und nach dem Zweiten Weltkrieg während insgesamt gut zwei Jahrzehnten verantwortlich (1934 – 1937; 1939 – 1957).

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