Bescheidenheit ist in der Volkshochschule eine ausgeprägte Tugend. Mit jährlichen Mitteln in der Grössenordnung von 25000 Franken führt der gemeinnützige Verein jedes Jahr zwei Dutzend Anlässe durch. Der bekannte Meteorologe und Fernsehmoderator Thomas Bucheli ist ebenso im Rheintal aufgetreten wie der ehemalige SRF-Auslandkorrespondent und Autor Erich Gysling.
Der Spagat zwischen finanzieller Selbstbeschränkung und grosszügiger intellektueller Bescherung gelingt vor allem dank der Sympathie für ehrenamtliches Bestreben, die breite Bevölkerung mit einem «qualitativ hochstehenden, aber nicht betont akademischen Kursangebot» zu beglücken. Referierende begnügen sich dank ihrer Sympathie für die Volkshochschulidee mit minimalen Honoraren, was auch für die prominenten Gäste gilt.Auch schon «völlig überrumpelt» worden Das Kursprogramm ist sehr vielseitig und soll es bleiben, wobei die Volkshochschule auf andere Anbieter Rücksicht nimmt. Was beispielsweise Pro Senectute leiste, wolle die Volkshochschule nicht auch in ihr Programm aufnehmen, sagt Benedikt Weissenrieder aus Altstätten, der die Volkshochschule seit 2019 präsidiert.
«Völlig überrumpelt», im sehr positiven Sinn, sah sich die Volkshochschule, als alles Wissenswerte über Patientenverfügung und Vorsorgeauftrag vermittelt wurde. Angesichts der fast hundert Interessierten war das reservierte Zimmer viel zu klein; aus dem Stegreif war eine Lösung zu finden. Auch der Kurs über Permakultur (den Selbstversorger-Garten beim Einfamilienhaus) fand so grossen Anklang, dass die Zahl der maximal zwanzig Besucherinnen und Besucher übertroffen wurde. Publikum diskutiert oft erstaunlich rege Vom Erfolg beflügelt, wiederholte der Verein die beiden Kurse – und erfuhr: Die Laune seines Publikums ist unberechenbar. Zum diesmal in der Aula durchgeführten Kurs über die Patientenverfügung kamen «nur» noch dreissig Leute. Bei der Gestaltung des jährlichen Kursprogramms wird stark auf aktuelle Themen geachtet. So wurde jüngst über Kryptowährungen (Hype oder Zukunft?) oder Pandemien und andere Krisen referiert und häufig ein praktischer Nutzen für den Alltag vermittelt, etwa mit dem Vortrag über Schlaf und Schlafstörungen oder den Gebrauch von möglichst wenig Plastik.Dass in aller Regel ein Referent auftritt und somit «Frontalunterricht» stattfindet, ist insofern kein Nachteil, als das Publikum sehr rege diskutiert und Fragen stellt. Benedikt Weissenrieder hat die Erfahrung gemacht, dass die Durchführung in einem Klassenzimmer die Diskussionslust der Kursteilnehmenden begünstigt; die Hemmschwelle sei tief. Die fleissige aktive Beteiligung erstaunt den Präsidenten immer wieder. Auch Referierende hätten sich öfter anerkennend geäussert.Veränderten Bedürfnissen wird Rechnung getragenWeil Bedürfnisse sich ändern, nimmt die Volkshochschule immer wieder entsprechende Anpassungen vor. Tritt ein neues Gesetz in Kraft, von dem viele Menschen betroffen sind, findet dazu ziemlich sicher ein Kurs der Volkshochschule statt – wie nächstes Jahr zum neuen Erbrecht mit seinen veränderten Pflichtteilen.[caption_left: Im Kursprogramm finden sich auch Exkursionen, nächstes Jahr werden Orgeln in Schaffhausen besichtigt und gehört.(Bild: Monika von der Linden)]Nach dem wiederholt recht mässigen Erfolg mehrteiliger Kurse ist die Verkürzung auf einen einzigen Abend pro Thema nur folgerichtig. Doch ambitioniert will man bleiben, wofür die Orgelreise nach Schaffhausen nächstes Jahr ein Beispiel ist. Von vier in der Stadt und ihrer näheren Umgebung bestehenden Orgeln werden alle besichtigt – und gehört. Ein erfreulicher Erfolg war der Exkursion an die Rheinmündung beschieden. Zwei Dutzend Interessierte fanden sich dort ein, nachdem dreissig bis vierzig Personen zum vorgängigen Vortrag nach Heerbrugg gekommen waren.
Benedikt Weissenrieder sagt: «Ein thematisch breites Angebot bleibt wichtig.» Ob es die richtige Mischung ist, zeigt sich jedes Jahr neu. Gerade auch das Jubiläumsjahr zeugt von der üblichen Bescheidenheit und Kontinuität: Trotz 75-jährigen Bestehens gönnt man sich keinerlei Extravaganz.[caption_left: Ein Bild Bruno Kirchgrabers zierte den Flyer vor 65 Jahren.]www.vhs-rheintal.ch.Die Jubiläums-Hauptversammlung findet am 10. September statt.Ein Bauer als Stütze der SchuleDer einstige Ständerat Willi Rohner (1907 – 1977) erzählte in seiner Rede zum zehnjährigen Bestehen der Volkshochschule Rheintal eine hübsche Anekdote, die von einem Bauern handelt.Dieser gute Mann besuchte regelmässig Kurse der Volkshochschule. «Nach einem sicher alles andere als mühelosen Tagewerk ist er abends vom Forst ins Städtchen hinuntergestiegen, um die Vorlesungen Professor Willi Nefs über Lessing und Goethe und Vorträge anderer Dozenten zu hören», berichtete Willi Rohner – und fuhr fort: «Mitunter hat ihn dann und wann an diesen Abenden auch einmal die Müdigkeit übermannt.» Doch immer wieder «trieb ein echtes Suchen seine Schritte zu uns – er gehörte recht eigentlich zu den Stützen unserer jungen Volkshochschule».Als Willi Rohner von dem Bauern sprach, war dieser schon verstorben. Rohner meinte: Wenn er aber an den Bauern und an so viele andere Hörer und Hörerinnen der Volkshochschule zurückdenke, dann werde auch «das Mass an Verantwortung und an verpflichtendem Ernst erkennbar, das von den Trägern eines solchen Bildungswerkes gefordert werden muss».Die Bedeutung der Volkshochschule brachte Willi Rohner so auf den Punkt: «Erwachsenenbildung ist nicht nur Vorbereitung zur Demokratie, nicht nur deren unerlässliche Voraussetzung – sie ist ihr unlösbarer Bestandteil und gehört zu ihr, wie die Wurzeln zum Baume gehören.» (gb)