29.09.2020

So viele Angriffe wie nie zuvor

Von viereinhalb Attacken gegen eine Amtsperson an der Spitze einer Gemeinde waren zwei erfolgreich.

Von Gert Bruderer
aktualisiert am 03.11.2022
Als halbe Kampfansage ist diejenige in Au-Heerbrugg gemeint. Gemeindepräsident Christian Sepin wurde von einer Interessengemeinschaft bis in den Frühling hinein monatelang massiv attackiert; zwei in alle Haushaltungen der Gemeinde verteilte Publikationen liessen kein gutes Haar an ihm. Obschon keine Gegenkandidatur aufgebaut wurde, hätte die Wählerschaft natürlich gegen Sepin stimmen und so ein Zeichen setzen können.Amtskollegen Sepins schnitten teils schlechter abVon 1434 abgegebenen Stimmen (inkl. leere Zettel, Stimmzettel mit anderem Namen, ungültige Zettel) entfielen 1188 auf den amtierenden Auer Präsidenten, was er gewiss als Vertrauensbeweis deuten kann. Es gibt Gemeindepräsidenten, die weniger gut oder ähnlich abschnitten. Während Sepin 82,84 Prozent der abgegebenen Stimmen auf sich vereinte, erhielt der Altstätter Stadtpräsident Ruedi Mattle «nur» 79,32 Prozent aller Stimmen und der Diepoldsauer Präsident Roland Wälter 81,04 Prozent, Rolf Huber in Oberriet 83 Prozent.Gegnerschaft aus engstem UmfeldDass amtierende Präsidenten herausgefordert werden und eine Kampfwahl zu erleiden haben, ist nicht allzu selten. So viele Attacken wie bei diesen Wahlen dürfte es indes noch nie gegeben haben.Neu ist, dass der Widerstand grossteils im eigenen Ratsgremium aufkeimte. In Marbach sollte Ortsgemeindepräsident Walter Kobelt von seinen Ratskollegen gestürzt werden (was kolossal misslang), in Balgach wollte Gemeinderat Reto Schmidheiny die amtierende Präsidentin Silvia Troxler stürzen (was Silvia Troxler mit 57,58 Prozent der Stimmen abzuwenden vermochte), und in Balgachs Schulgemeinde brachte die Schulrätin Anna Sanseverino das Kunststück fertig, mit einer recht kurzfristigen Kandidatur die amtierende Gaby Eigenmann vom Thron zu schubsen; Sanseverino erhielt 641 Stimmen, Eigenmann 569.Der frühere Altstätter Stadtpräsident Daniel Bühler hatte in Bad Ragaz ebenfalls eine Attacke von innen zu überstehen. Sein Ratsschreiber kam mit 1154 Stimmen recht nahe an Bühler heran, der 1321 Stimmen erhielt.In Rheineck wurde der Schulpräsident abgewählt. Die Turbulenzen an der Schule – viele unzufriedene Eltern und mit der Schulleitung unzufriedene Lehrkräfte – dürften den Ausschlag zugunsten der gescheiterten Stadtpräsidentschaftskandidatin Angelika Margadant gegeben haben. Sie verdrängt Schulpräsident Oscar Kaufmann (350 Stimmen) mit 590 Stimmen aus dem Amt.Gemeindepräsidenten schwer zu stürzenWie gesagt, Angriffe auf Gemeindeoberhäupter gab es immer wieder, aber nie in einer Häufung wie bei diesen Wahlen. Die Erfahrung lehrt, dass es grundsätzlich schwer ist, jemanden vom Thron zu stossen, sofern dem Angegriffenen nicht eine offenkundig schlechte Leistung vorzuwerfen ist. Sowohl Silvia Troxler in Balgach als auch Daniel Bühler in Bad Ragaz obsiegten nach ungewohnt hartem und aufwendigem Wahlkampf.In Oberriet wehrte Gemeindepräsident Rolf Huber vor vier Jahren Marcel Dietsches Angriff deutlich ab. Bei den Wahlen in Au liess sich vor acht Jahren zur Kenntnis nehmen, dass die Art der Information sowie die Art des Auftritts eine ebenfalls sehr grosse Rolle spielen können. Gemeindepräsident Walter Grob, dem nicht nur missliebige Kreiselkunst, sondern (wie Silvia Troxler) auch ein Kommunikationsdefizit angekreidet wurde, erhielt nach mehreren Jahren im Amt nur gerade ein Drittel der Stimmen. Sein Herausforderer Stefan Suter, gefeiert als eine Art Retter, fand aber sein Glück nicht im neuen Amt und kündigte im März 2014, nach nur 15 Monaten im Amt, seinen Rücktritt auf Ende Jahr an. Christian Sepin folgte ihm als neuer Präsident. Die Angst vor Ernüchterungen wie dieser dürfte die Position amtierender Präsidenten tendenziell stärken.Grösste Spannung entstand 2000 in EichbergAuch vor zwei Jahrzehnten gab es im Rheintal zwei interessante Kampfwahlen, bei denen sich ein amtierender Präsident angegriffen sah. In Altstätten machte ein Wahlbündnis Markus Rohner zu Josef Signers Gegenkandidaten; Rohner selbst liess damals offen, ob er das Amt annähme. Es war kein Entscheid nötig, denn Signer wurde mit einer Zweidrittelmehrheit im Amt bestätigt, Markus Rohner engagierte sich daraufhin fast zwei Jahrzehnte als Präsident der Vereinigung a plus (die bei den jüngsten Wahlen ihren Stadtratssitz verlor).Die bisher spannendste Auseinandersetzung zwischen einem Gemeindepräsidenten und seinem Herausforderer erlebte das Rheintal ebenfalls im Jahr 2000. Der heutige Gemeindepräsident von Rebstein, Andreas Eggenberger, trat damals gegen Eichbergs langjährigen Chef Robert Benz an, dem im ersten Wahlgang nur sechs Stimmen fehlten. Auch im zweiten Wahlgang war der Rückstand des Bedrängten minimal: Andreas Eggenberger bekam 331 Stimmen, Robert Benz 314.Karl Loher benannte den SiegerAls 2012 der damalige Oberrieter Schulpräsident (Primar- und Oberstufe), Romeo Gächter, aus dem Amt spediert wurde, hiess der Gewinner Karl Loher. Gächter unterlag in der Oberstufe mit 1080 gegenüber 1139 Stimmen, in der Primarschule mit 763 gegenüber 883 Stimmen. Was Karl Loher nach der Wahl bemerkte, trifft auch auf die jüngsten Wahlen zu, besonders auch mit Blick auf Balgach, Rheineck, Marbach. Loher sagte nämlich: «Wenn es einen Sieger gibt, dann die Demokratie.»

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