02.06.2018

So ein Zirkus

Von Jens Mayer
aktualisiert am 03.11.2022
«Manege frei für Gross und Klein, der Zirkus ist in der Stadt.» So lautete in meinen Kindertagen die Plakatanzeige für einen Wanderzirkus, der regelmässig in meiner Geburtsstadt gastierte. Und wir sind jedes Jahr dorthin gegangen, weil meine Geschwister und ich die Manege, die Artisten und Clowns und damals auch die Tiere faszinierend fanden. Wie ungewöhnlich, wie mutig, wie so komplett anders als mein Alltag war dieses Erlebnis. Umso seltsamer fand ich, dass mein Opa immer «so ein Zirkus» sagte, wenn ihm etwas nicht passte. Er meinte es vor allem dann, wenn etwas in seinem geregelten Alltag nicht so lief, wie er es sich vorstellte. Dann war Zirkus, weil es zu laut, zu unordentlich, zu hektisch oder zu chaotisch war. Dabei ist Zirkus alles Mögliche, nur das nicht. Damit so eine Aufführung in der Manege gelingen kann, braucht es viel Fleiss, Disziplin, viel Mut und noch mehr Vertrauen in den Partner oder die Partnerin, da­- mit eine Zirkusnummer gelin­- gen kann. Häufiger werden auch wir Kirchen damit konfrontiert, dass wir angeblich «einen Zirkus veranstalten». Gemeint ist damit, dass wir eine Show liefern, die keine Substanz hat, da Gott nicht beweisbar ist. Aber wenn mir jemand das als Kritik sagt, dann nehme ich es eher als Kompliment. Denn auch im religiösen Leben brauche ich viel Mut und Vertrauen: Den Mut, mich über das mit Sinnen Erfahrbare auf die Botschaft Gottes einzulassen; den Mut dafür einzustehen, dass nicht ich alleine meines Glückes und Lebens Schmied sein kann; den Mut dies nicht nur für mich im stillen Kämmerlein zu tun, sondern Gott in der Öffentlichkeit zu bezeugen. Und es braucht auch viel Vertrauen: Vertrauen darauf, dass Gott mich hält und trägt, wenn ich das nicht mehr selber kann; Vertrauen in seine biblisch überlieferten Worte an uns Menschen, die uns Halt und Hoffnung geben dürfen; Vertrauen in sein Versprechen, über unsere Existenz hier auf Erden hinweg für uns da zu sein. Wenn ich diesen Mut und dieses Vertrauen im Hier und Jetzt aufbringen kann, dann lege ich zwar keine zirkusreife Show hin, aber dann kann ich in meinem Leben Dinge vollbringen, die für andere nur zum Staunen und die Luft anhalten sind. Eben genauso wie im Zirkus, wenn sich die Artisten am Trapez hoch über der Manege scheinbar schwerelos mit ihren Saltos und Schwüngen über unsere Köpfe schwingen. Kirche und Zirkus, beides sind Räume, in denen Besonderes geschehen kann. Und wenn sie sich begegnen, dann kann eine Magie entstehen, die den Alltag lebenswerter macht. Jens MayerPfarrer in Balgach

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