19.09.2022

Sigrid Seitz weiss jetzt, wo sie verankert ist

Eine alte Uniform aus dem Familienbesitz von Sigrid Seitz kam einst als Kostüm an Unterhaltungsabenden zum Einsatz – bis ihr wahrer Wert ans Licht kam. Und die Berneckerin neue Erkenntnisse über ihre Familie gewann.

Von Monika von der Linden
aktualisiert am 02.11.2022
Sigrid Seitz ist verblüfft, sie hatte den Wert der Berufskleidung ihres Grossonkels komplett falsch eingeschätzt. Sie wusste zwar, dass Karl Muralter zu Beginn des vergangenen Jahrhunderts als Soldat in Österreich gedient hatte. Ihr wäre es aber nicht in den Sinn gekommen, dass die Uniform ein bedeutendes Zeitzeugnis sein könnte.Hätte die Berneckerin den Familiennachlass nicht hin und wieder aus dem Mottenschrank geholt und an Dorfanlässen gezeigt, wäre Sigrid Seitz der historische Wert wohl verborgen geblieben. Rainer Sieber, der für sein geschichtlich geschultes Auge in Berneck bekannt ist, erkannte an einer Fasnachtsver­anstaltung in der Uniform etwas Kostbares. «Sie gehört in ein Museum», sagt er. Rainer Sieber behielt recht.Heeresgeschichtliches Museum zeigt InteresseEine weitere Fügung trug dazu bei, dass Sigrid Seitz einen Kontakt zum Heeresgeschichtlichen Museum in Wien knüpfte. Einer ihrer Cousins pflegt dorthin eine direkte Verbindung und liess die Uniform begutachten. Sie ist aus festem Wollstoff gearbeitet und mit Leinen gefüttert. Weiter hat sie einen prägnanten Rückenkragen aus gewachstem und daher wasserdichtem Leinen.[caption_left: Andi Seitz führt als Nachfahre von Karl Muralter die K. u. K. Kriegsmarine-Uniform vor.    Bild: pd] Das Ergebnis war eindeutig. Unbestritten handelt es sich um eine Uniform der Österreichischen Kriegsmarine, der K. u. K. Kriegsmarine – zu lesen auf dem Schriftzug der Matrosenmütze. Zu Beginn des Ersten Weltkriegs galt die Flotte als eine der grössten der Welt. Rainer Sieber studierte die Rang- und Arbeitsabzeichen und folgerte aus der aufgestickten Schiffsschraube, dass Karl Muralter einen höheren Offiziersgrad innegehabt haben musste. «Er war ein Maschinenmaat und hatte Aufsicht über ein Dampfschiff  im Ersten Weltkrieg», sagt er. Ein Stempel besagt, dass der Soldat im Jahr 1911 rekrutiert und nach drei Jahren auf See ausgemustert worden war. «So kam er um einen Einsatz im Ersten Weltkrieg herum und überlebte wahrscheinlich deshalb», sagt Sigrid Seitz.[caption_left: Die Abzeichen rechts weisen darauf hin, dass der Soldat ein höherer Unteroffizier und Maschinenmaat war. Bild: pd]Familienerbstück in Wien verabschiedetDas Museum bestätigte Sigrid Seitz, dass die Uniform tatsächlich ihrem Grossonkel, dem Onkel ihrer Mutter gehört hatte. Dieser war im Jahr 1954 aus der Steiermark ausgewandert und hatte nach Domat / Ems im Bündnerland geheiratet. Mutter und Uniform waren ins Rheintal gelangt, als der Vater bei den Weissen Vätern in Widnau Ar­beit gefunden hatte.Aus Freude darüber, ein 120 Jahre altes Prunkstück in tadellosem Zustand erhalten zu haben, lud das Museum die ganze Familie Seitz im Sommer 2021 nach Wien ein. «Wir durften die Uniform an ihrem neuen Bestimmungsort verabschieden», sagt Sigrid Seitz. «Dort wird sie möglicherweise allen Besuchenden zugänglich sein.» Sie sei stolz, dass das Erbstück an solch einem schönen Ort sei – und sie nicht mehr verantwortlich sei.Sigrid Seitz ist froh darum, nach der Verbindung zwischen Berneck und Österreich geforscht zu haben. «Ich habe dadurch meine Familiengeschichte aufgearbeitet.» Bisher sprachen die Verwandten immer nur über die Schicksale im Zweiten Weltkrieg, der Erste Weltkrieg war kaum ein Thema.«Jetzt weiss ich, wo ich verankert bin.»

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