Monika von der LindenSie haben katholische Theologie studiert und sich in Rom wissenschaftlich mit der Liturgie befasst. Wollen sich die Menschen in der Pfarrei mit dem Glauben derart theoretisch befassen?Stefan Kiesewetter: In der Liturgie kann man die Pastoral (Seelsorge) mit der Wissenschaft gut kombinieren. Sie ist Schnittpunkt der katholischen Lehre und der Bedürfnisse der Menschen.Verständlich ist die Sprache deshalb nicht automatisch.Es kommt darauf an, wer die Lehre vermittelt und wie. Ich habe mich nach dem Studium weitere vier Jahre lang mit Theorie befasst. Das war gut, aber jetzt ist es Zeit für die Praxis. Die christliche Botschaft hat die Kirche in ihrer 2000-jährigen Geschichte immer wieder neu übersetzt. Nach dem Zweiten Vatikanischen Konzil ging sie den mutigen und richtigen Schritt, von Latein auf die Sprache des jeweiligen Volkes zu wechseln. Ich übersetze den Kern der Botschaft und habe immer versucht, mir eine verständliche Sprache zu bewahren. Die Menschen ärgern sich genauso über Seelsorger, die man nicht versteht, wie über Politiker.Nennen Sie bitte den Kern?Achtsamkeit, Respekt, Nächsten- und Gottesliebe.Welchen neuen Schritt der Verständigung wollen Sie gehen?Ich bin erst seit ein paar Tagen hier, habe aber bereits festgestellt, dass die Pfarrei sehr aktiv ist. Ich schaue mich um, was hier üblich ist, um das eine oder andere dann zu verbessern. Die Politik verwendet Gerechtigkeit und Solidarität als Schlagwörter. Die Bibel ist voll von diesem Thema, von Nächsten- und Gottesliebe. Diese grossen Begriffe möchte ich den Menschen anhand biblischer Lesungen darstellen. Auf diese Weise verbinden wir kirchliche mit gesellschaftlichen Themen, den christlichen Glauben mit dem gesellschaftlichen Handeln.Fällt es Ihnen schwer, eine Stelle fern der Heimat anzutreten?Der Schritt, in die Schweiz zu kommen, hat mich weniger Überwindung gekostet, als vor vier Jahr nach Rom zu gehen. Damals war ich das erste Mal im Ausland und auf mich allein gestellt. Ich bin sicher, dass ich in der kleinen Gemeinde schnell Kontakte knüpfen kann. Meine ersten Eindrücke bestätigen das. Ich bin froh, dass mir das Ordinariat den Tipp gegeben hat, mich in Au zu bewerben. Durch die Nähe zur Grenze haben die Menschen hier bereits viele Erfahrungen mit Österreichern gemacht.Es gibt immer weniger Seelsorger. Was reizt Sie an dem Beruf?Das Tief bei den Berufungen ist ein Zeichen der Zeit. Ich wollte entweder Mediziner oder Priester werden. Ich kann nur schlecht Blut sehen. Aber es liegt mir, mit Menschen ins Gespräch zu kommen.Warum sind Sie nicht Priester geworden?Ob ich Priester werde oder nicht, ist noch offen. Ich bin auch deshalb nach Au gekommen, weil im Bistum St. Gallen meine Ausbildung und die Tätigkeit als Pastoralassistent dem nicht im Weg stehen.Ist das in Österreich nicht so?Ein Pastoralassistent ist dort ein besserer Sekretär. Hier steht er dem Priester in seelsorgerischen Belangen zur Seite, damit er sich auf seine priesterlichen Dienste (Eucharistie, Taufe, Beichte, Krankensalbung) konzentrieren kann.Besteht so die Gefahr, dass ein Priester zum Zeremonienmeister verkommt?Was ich bis jetzt gesehen habe, ist Josef Benz als Pfarrer der Seelsorgeeinheit ein gutes Beispiel. Die Menschen mögen ihn und er kommt sehr gut mit ihnen ins Gespräch. Ausserdem nehmen es die Leute hier an, wenn ein Pastoralassistent einen Wortgottesdienst hält. Sie sind froh, einen Seelsorger vor Ort zu haben. Die Art und Weise, wie die Pfarrei lebendig bleibt ist hier besser gewahrt als in Österreich.Pastoral und Verwaltung sind hier getrennt. Sind Sie vertraut mit dem dualen System?Ja, und ich halte es für gut. Das Laiengremium(Nichtseelsorger) ist eine Kontrollinstanz. Es gewährleistet, dass die Kirchgemeinde sorgsam mit ihren Ressourcen umgeht. Das schuldet der Verwaltungsrat den steuerzahlenden Kirchbürgern. Laien und Seelsorger kämpfen gemeinsam dafür, die Kirche vor Ort gut durch die Probleme zu bringen.Welche Ideen haben Sie, um den Problemen zu begegnen?Sicher dürfen die Jugendlichen nicht zu kurz kommen. Die Pfarrei ist wie ein Ökosystem. Reisst man etwas heraus, kann das Ganze verletzt werden. Jede Gruppe in der Pfarrei und Seelsorgeeinheit erfüllt einen Sinn, und es hat einen Grund, warum sie ins Leben gerufen wurde. Ich weiss, worauf ich mich eingelassen habe. Hier bin ich als Pastoralassistent für alle zuständig – von Jung bis Alt. Das ist sonst nirgends gegeben und es gefällt mir. Es ist mein Traumjob, ich kann mit Menschen zusammenarbeiten. Ich trage ein Risiko, die Heimat aufzugeben. Die Kirchgemeinde auch. Sie muss sich nach vierzehn Jahren Mike Chukwuma auf etwas Neues einstellen. Die Gemeinschaft muss mich tragen, aber auch ertragen. Und umgekehrt ist es ebenso.HinweisPastoralassistent Stefan Kiesewetter wird der Pfarrei und der Seelsorgeeinheit vorgestellt und in seine Aufgabe eingeführt im Gottesdienst morgen Samstag, 11. August, um 17 Uhr in der katholischen Kirche in Au.Stefan Kiesewetter ist 29 Jahre alt. Er wuchs mit zwei Geschwistern auf in einer religiös geprägten Familie in Wien. Dort absolvierte er seine Schulausbildung sowie ein Studium der Katholischen Theologie und arbeitete an der Universität als Studienassistent in der Liturgiewissenschaft. Von 2014 bis zum Juni dieses Jahres dissertierte Stefan Kiesewetter in Rom bei der Görres-Gesellschaft. Das Institut befasst sich mit der Kirchengeschichte und veröffentlichte 1965 – nach dem Zweiten Vatikanischen Konzil – das erste volkssprachliche Messbuch in Italienisch. Stefan Kiesewetter wohnt seit Ende Juli in Au. Er ist Pastoralassistent in der Seelsorgeeinheit Berneck-Au-Heerbrugg und Ortsseelsorger in Au. Als Berufseinsteiger ist er zu 80 Prozent angestellt. Parallel absolviert er die zweijährige Berufseinführung im Bistum St. Gallen. (vdl)