04.08.2020

Sie spielten auf höchstem Niveau

Das letzte Tor zum 6:5-Finalsieg der Handball-Schweizermeisterinnen von 1991 war auch nachts immer wieder ein Thema.

Von Gert Bruderer
aktualisiert am 03.11.2022
Marco Kehl, zusammen mit Felix Hasler der Baumeister des bisher grössten Juniorinnenerfolgs des SV Altstätten, ist noch immer beeindruckt. Mit einem einzigen Training pro Woche bezwang sein Team vor 30 Jahren den damals angehenden Meister St. Otmar in beiden Meisterschaftsspielen.Noch besser kam’s im Jahr darauf: Im Meisterschaftsfinalspiel wurden die Altstätterinnen mit einem 6:5-Sieg gegen den ZMC Amicitia Schweizermeister. Dass nicht mehr Tore fielen, lag an der kürzeren Spieldauer in den Finalspielen (2 × 12 Minuten).Geschickte Täuschung brachte MeistertitelDie heute in Balgach lebende Jacqueline Mathys schoss alle sechs Tore. Die reguläre Spielzeit war schon abgepfiffen, doch Altstätten durfte noch einen Freistoss ausführen. Jacqueline Mathys täuschte die gegnerische Abwehr, die eine Mauer gebildet hatte, und brachte sie dazu, etwas weiter nach rechts zu rücken. Den Ball schoss Jacqueline Mathys nach links, in die tiefe Ecke.Die in einem Car angereisten Altstätter Fans waren ganz aus dem Häuschen. Zogen fortan Marco Kehl und Jacqueline Mathys mit den Räbafägern durch die Fasnacht, soll die erfolgreiche Torschützin zu vorgerückter Stunde immer wieder gezeigt haben, wie das Siegestor zum Meistertitel zustande kam. Jedenfalls erzählt dies Marco Kehl, der die Erinnerung an den grossen Coup mit sanfter Ironie verbindet.Nach den Siegen gegen St. Otmar in der Meisterschaft habe sein Team die Übungszeit «sensationell auf ein zweites wöchentliches Training ausgebaut», wobei er allerdings noch heute staunt, dass über diesen Mehreinsatz zu diskutieren war. Gut, hätten die jungen Handballerinnen gemerkt, dass «mehr möglich war».Sandra Garcia: «I jede Zwüscheruum inegjuckt»Nach dem Gewinn des Meistertitels war über Jacqueline Ma-thys im «Rheintaler» und in der «Volkszeitung» zu lesen, sie könne Spiele «im Alleingang entscheiden – dank ihrer körperlichen Überlegenheit, ihrer beachtlichen Sprungkraft und ihrem harten Schuss». Doch natürlich ist ein Meistertitel ausnahmslos ein Teamerfolg, den Marco Kehl so erklärt: «Wir hatten für jede denkbare Spielsituation die ideale Spielerin» – und somit den bestmöglichen Mix an Qualitäten. So kamen die Altstätterinnen dank der heute in Arnegg lebenden Sandra Garcia zu drei Penaltys.Die spätere Nati-A-Handballerin, die in der Nationalmannschaft spielen durfte und mit St. Otmar zweimal Schweizermeisterin, viermal Vizemeisterin und einmal Cupsiegerin wurde, «isch i jedä Zwüscheruum inegjuckt», sagt Marco Kehl. In Zwischenräume, die andere meiden, fügt der heutige Junioren-C-Fussballtrainer hinzu und lobt Garcias Kraft und Selbstvertrauen.Marco Kehl kamen sogar TränenNach dem Titelgewinn waren die Altstätterinnen begehrt. Drei der sechs Feldspielerinnen bekamen vom damaligen Topverein Brühl ein Angebot, Sandra Garcia nutzte es. «Das war für unser Team und unsere Arbeit eine grosse Anerkennung», sagt Marco Kehl.Jacqueline Mathys blieb wie (die heute noch spielende!) Andrea Biedermann beim SV Altstätten. Die Torjägerin schnupperte zwar in St. Gallen, verliess Altstätten aber nicht, was Marco Kehl damals nicht fassen konnte. «Das ging mir sehr nahe», sogar Tränen kamen ihm. Der Verbleib der talentierten Sportlerin erwies sich als Glücksfall, denn mit ihr und den anderen verbliebenen Kolleginnen entstand das erste Altstätter Frauenhandballteam. Und dieses startete voll durch: Innerhalb von zwei Jahren gelang der Aufstieg aus der dritten in die erste Liga, wo man auf Anhieb die Aufstiegsspiele erreichte.Dass sie blieb, begründet Jacqueline Mathys mit der wunderbaren Atmosphäre, aber auch mit den wöchentlich vier Trainings bei Brühl. Viermal nach St. Gallen fahren, «da mosch wölle», sagt sie.Marco Kehls eigene Karriere als Handballer endete abrupt. Nach einem Jahr bei Appenzell in der zweiten Liga trat ihm in einem Trainingsspiel ein Gegenspieler in Goldach auf den Fuss. Er fiel mit einer Drehung. Kreuzbandriss. Das war’s. Noch heute schmerzt das rechte Knie, er ist entsprechend eingeschränkt, betätigt sich so gut es geht als Biker. Beruflich ist der frühere Primarlehrer mit Zusatzstudium als Sportlehrer an der Uni Bern seit 15 Jahren als Berufsschullehrer tätig. Thematisch nahe ist das Betätigungsfeld Sandra Garcias, die seit zwei Jahren beim Amt für Berufsbildung in der Abteilung Lehraufsicht arbeitet. Sie besucht öfter den Vater in Altstätten, joggt gern und gibt nebenher Kurse in TôsôX, einer Vernetzung von Kampfsport und Fitness.Jacqueline Mathys lebt in Balgach, arbeitet als klassische Masseurin und treibt nach wie vor fleissig Sport; sie joggt, fährt Bike und betreibt Yoga.Viele schöne BeziehungenDass sportliche Vorbilder den Nachwuchs zum Nacheifern anspornen, ist am Beispiel der früheren Handballcracks zu sehen. Sandra Garcias Söhne spielen Fussball, der ältere in der U18-Mannschaft. Eine Tochter Jacqueline Mathys’ ist eine begabte Leichtathletin, und Marco Kehls Kinder treiben ebenfalls Sport; der Sohn und eine Tochter spielen Fussball, die andere Tochter Unihockey.Handball spielt der Göttibub der einstigen Torjägerin. Er ist auf seine Gotte ziemlich stolz und hört gern die Geschichten von früher. Ab und zu sieht Jacqueline Mathys sich ein Spiel an und ist ihrerseits erfreut, dass Gian bei St. Otmar gut aufgehoben ist.Innerhalb des einstigen Altstätter Handballteams bestehen bis heute enge Kontakte. Sandra Garcia, die in St. Gallen «die Rheintalerin» ist, verbindet zudem eine enge Freundschaft mit zwei ehemaligen Handballerinnen des St.-Otmar-Teams. Gemeinsam schauen sie sich die meisten Heimspiele an. Gegenseitig haben sie füreinander als Trauzeuginnen gewirkt, und auch als Taufpatinnen sind sie sich nahe. Erfolg und schöne Erinnerungen verbinden eben.

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