06.12.2021

Sie malt für die Freiheit der Frauen

Seit Jahrzehnten fertigt Ruth Gmünder aus Altstätten Aquarelle. Kürzlich ist ihr erstes Buch erschienen.

Von Monika von der Linden
aktualisiert am 02.11.2022
Monika von der LindenFreundlich begrüsst Spotty die Besucherin. Der Mittelspitz ahnt wohl, dass auch er eine Rolle im Gespräch mit seiner Besitzerin Ruth Gmünder spielen wird. Sie malt Aquarelle und hat im November ihr erstes Buch herausgebracht. «Von den Reben und dem Leben» umschreibt ihr ganzes Leben – von der Primarschulzeit bis heute. Es stellt Bilder und Gedichte in Beziehung. Viele Sujets hat die Malerin in der Natur gefunden. An nahezu jedem der abgebildeten Motive ist sie immer wieder mit Spotty entlang spaziert.50 Jahre lang lebte Ruth Gmünder im Appenzellerland. Ihr Elternhaus war gleichzeitig ein Gasthaus in Lehmen bei Weissbad. Dort kam sie zum ersten Mal mit Wein in Kontakt: Sie verkaufte ihn in der Gaststube. «Die Bauern tranken am liebsten den aus Altstätten», sagt sie. Das Städtli hatte ihr schon immer gut gefallen. Dort gab es eine Badi. «Daheim hatten wir im Winter zwei Monate lang keine Sonne.» Der Blick und das Leben sind weiter gewordenVor sieben Jahren zog Ruth Gmünder mit ihrer Familie an die Parkstrasse in Altstätten. Sie schätzt es, dort über das Tal zu blicken. Auch im übertragenen Sinn ist ihr Leben am neuen Ort weiter geworden. «Ich bin als Mutter zu lange zu Hause geblieben und habe den Schritt zurück ins Berufsleben verpasst», sagt sie. So wie ihr gehe es vie-len Frauen. «Sie hatten einmal einen guten Job und obwohl sie viel Lebenserfahrung besitzen, sind sie oft abgeschrieben.»Im Städtli änderte sich das für Ruth Gmünder. Auf einer Runde mit Spotty traf sie jemanden, der Hilfe in den Reben suchte. Erst arbeitete sie in Altstätten im Weinberg, bald in Oberriet und Eichberg. «Es ist zwar körperlich anstrengend, aber ich finde mit dieser Tätigkeit die innere Ruhe, die ich zum Malen brauche.» Im Rebberg fühle sie sich freier denn je – «und doch spüre ich eine Sehnsucht nach noch mehr Freiheit». Benennen kann sie das Gefühl nicht, ihre Bilder hingegen zeigen es in Farben.Aquarelle malte Gmünder erstmals als Dreissigjährige. Das kreative Schaffen half ihr damals, eine Krise zu bewältigen. Motive findet sie im Appenzel-ler Brauchtum und der Landschaft ihrer Heimat. In Altstätten bannt sie ihre Eindrücke der Kultur- und Einkaufsstadt auf Papier. «Ferdinand Gehr wäre wohl mein grosses Vorbild, er malte aber nicht in meinem Stil.» Ruth Gmünder kannte den bedeutenden Altstätter Künst-ler persönlich. «Meine Tante schneiderte für seine Familie. Er zahlte mit seinen Bildern.» Die Malerin blieb sich und den Aquarellen treu. «Mir gefällt es, dass ich den Moment auf immer festhalte und nichts mehr am Bild verändern kann.»«Liberté»: Kraft und Rebellion Es liegt in ihrem Naturell, ihre Werke zu zeigen und nicht im Verborgenen zu halten. Folglich erlebte Ruth Gmünder schöne Erfolge an Ausstellungen wie im «Hilton» in Zürich, in der Klinik Gais oder an der Art Herisau. Hiervon beflügelt, durchlief sie ein dreijähriges Heimstudium der Kunstschule Zürich. Sie möchte ihre Bilder über das Buch auch jenen Menschen zugänglich machen, die keine Vernissage besuchen. Weiter postiert sie in diesem Medium ihre Botschaft zur Rolle der Frauen. «Auf Papier und im Radio tönt alles durchdacht», sagt sie. «Arbeitet eine Frau aber Vollzeit, kann sie sich nicht so frei bewegen wie ein Mann.» Stichworte sind Lohngleichheit und Kinderbetreuungsplätze. «Es hängt noch immer viel an der Frau.» Ruth Gmünders Kinder sind erwachsen. «Ich bin seither etwas freier und kann in den Reben arbeiten. Mir fehlen aber Pensionskassen- und AHV-Beiträge.» Im Buch steht das Gedicht «Liberté» von Paul Eduard beispielhaft für ihren Kampfgeist. Die kräftigen Rot- und Gelbtöne drücken Kraft und den Wunsch nach Rebellion aus.Als ihr liebstes Werk bezeichnet Ruth Gmünder einen vermoosten Brunnen, den sie zuvor unzählige Male im Wald betrachtet hatte. Im Buch platzierte sie das Gedicht «Der alte Brunnen» von Artur Kleemann, einem guten Freund, neben ihrem Bild. «Ich habe erst heute verstanden, was er mir jahrelang sagen wollte: Ich bin der Brunnen und nicht die Quelle», sagt sie. Sie könne nur das weitergeben, was sie selbst empfangen habe. «Ich kenne nun die Quelle, die mich nährt. Es ist die Natur.»Hinweis«Von den Reben und dem Leben» ist in der Appenzeller Druckerei entstanden und im Buchhandel erhältlich (ISBN 978-3-907197-16-5).

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