11.01.2021

Sie lernt ein uraltes Handwerk

Elena Müggler aus Altstätten macht eine Ausbildung als Gewebegestalterin – oder Handweberin – im Val Müstair.

Von Cécile Alge
aktualisiert am 03.11.2022
In der Manufactura Tessanda in Santa Maria Val Müstair wähnt man sich um Jahrzehnte zurückversetzt. In den elf historischen Räumen stehen 25 teils hundertjährige Webstühle. Lautes Klappern und Klacken hallt durch das Haus in dieser abgelegenen Ecke des Bündnerlandes.Es ist das Arbeitsgeräusch der Handweberinnen, die voll in ihrem Element sind. Unermüdlich und in gleichmässigem Rhythmus schiessen sie ihre «Schiffli» durch die an den Webstühlen vorgespannten Kettfäden. Gleichzeitig betätigen sie mit ihren Füssen verschiedene Tritte. Sie heben und senken so die Schäfte, die das gewünschte Stoffmuster entstehen lassen. Die Abläufe sind präzis und wiederholen sich immer wieder. Trotzdem, oder genau deshalb, fordert dieses uralte, körperlich anstrengende Handwerk höchste Konzentration.[caption_left: Die Abläufe in der Handweberei erfordern höchste Konzentration.]«Ein falscher Schuss oder Tritt hat Folgen. Das Muster stimmt nicht, man muss das Gewebte wieder aufmachen und neu weben», erklärt Elena Müggler. Die 20-jährige Altstätterin weiss, wovon sie spricht. Sie ist eine der beiden Lernenden in der «Tessanda» – im ersten Lehrjahr als Textil- oder Gewebegestalterin. Der Beruf ist selten geworden. Nur sechs junge Frauen und ein junger Mann in der Schweiz sind derzeit in Ausbildung und erlernen dabei das Handweben von Grund auf.Die «Tessanda» hat auch schon bange Zeiten erlebtDie «Tessanda» (das rätoromanische Wort «tesser» steht für weben) ist die grösste der verbliebenen professionellen Handwebereien der Schweiz. Sie beschäftigt 17 Mitarbeiterinnen und übernimmt eine wichtige Rolle in der Ausbildung von Gewebegestalterinnen. Das ist nicht selbstverständlich, denn es gab bange Zeiten, in denen die Existenz der Weberei im Münstertal an einem seidenen Faden hing.Doch der Neustart gelang, mittlerweile weht ein frischer Wind durch den 1928 gegründeten Traditionsbetrieb. Mit neuem Logo, neuen Farben, neuen Mustern, neuen Etiketten und einem zeitgemässen Online-Shop ist man up to date. Das zeigt auch der Publikumspreis Prix Montagne 2020, den die Manufaktur vor ein paar Wochen gewonnen hat.«Den Ärmel reingezogen»: Elena Mügglers TraumlehreDiese Mischung aus Herkömmlichem und Modernem gefällt den jungen Lernenden. «Wir fertigen hier zeitgemässe Stoffe und Produkte nach alter Handwerkskunst – das ist äusserst spannend und erfüllend», sagt Elena Müggler. Im Zeitalter von Billigwaren und Wegwerfmode sei das wie ein Statement, eine Haltung.Die junge Altstätterin hat die Fachmatura abgeschlossen, ein Jahr lang den Vorkurs/Propädeutikum an der Kunstschule in Chur besucht sowie ein Praktikum im Textilmuseum St. Gallen absolviert. Nun ist sie glücklich, dass sie bei der «Tessanda» ihre Traumlehre machen kann. Es habe ihr nämlich schon beim Schnuppern regelrecht «den Ärmel reingezogen».[caption_left: Dieses Schildchen ist an jedem von Elena Müggler gefertigten Produkt zu finden.]«Die Farben und das Muster aussuchen, das Material berechnen, den Webstuhl einrichten und einfach zu sehen und zu spüren, wie ein Werk von A bis Z entsteht: Das ist einzigartig», schwärmt Elena Müggler. Ausserdem habe sie sich im Team sofort wohl gefühlt. Die Atmosphäre sei herzlich und familiär, weshalb sie auch rasch bereit war, für diese Ausbildung von Zuhause in Altstätten ins Münstertal zu ziehen. Und das, obschon sie mit einem knappen Budget auskommen muss.Elena Müggler passt auch optisch ins BildErzählt Elena Müggler, tut sie das bedächtig, fast vorsichtig. Trotzdem ist spürbar, wie sie Feuer gefangen hat für diesen Beruf. Und was beim Gespräch mit ihr auffällt: Sie passt optisch perfekt in die Kulisse der alten Handweberei. Ob am Webstuhl oder über eine feine Knüpfarbeit gebeugt; diese natürliche junge Frau, die ihre Haare gern zum Zopfkranz geflochten trägt, könnte einem Bild Albert Ankers entsprungen sein.Apropos Bild: Ein solches gibt es in der «Tessanda» tatsächlich von ihr. Allerdings nicht in Öl gemalt, sondern als Foto gedruckt. Es wird jeweils zusammen mit einem persönlichen Spruch als Schildchen an die von ihr gefertigten Produkte gehängt. Ihr Spruch: «Aus tiefstem Herzen».

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