29.10.2021

Sie krempelten ihr ganzes Leben um

Seit einem Schlaganfall ist Fausto Pesaresi aus Altstätten auf die Betreuung seiner Frau Theres angewiesen. Der Anfang war hart.

Von Hildegard Bickel
aktualisiert am 03.11.2022
Hildegard BickelFausto Pesaresi verbrachte sein Arbeitsleben mit Leib und Seele in der Gastronomie – als Koch und Chef de Service. «25 Jahre im Hotel Sonne, später im Kirlenhof, dann im Haus Viva als Chefkoch», zählt er auf. Zuletzt führte er den Badikiosk der Gesa und bot einen Partyservice an. Bis er mit 68 Jahren einen Schlaganfall erlitt. Das war vor acht Jahren. «Von einem Tag auf den anderen änderte sich alles», sagt Theres Pesaresi. Ihr Mann konnte nicht mehr gehen und war drei Monate in der Klinik Valens in der Rehabilitation. Trotz therapeutischer Erfolge ist der Rollstuhl unverzichtbar geworden. Das Haus am Blumenweg musste behindertengerechte Anforderungen erfüllen, um den Alltag daheim zu meistern. Von Anfang an war klar, dass Theres Pesaresi ihren Mann so gut es geht selber betreuen will. «Aber es brauchte Zeit, bis ich realisierte, was alles auf mich zukam», sagt die 73-Jährige. Es zehrte an ihren Kräften, nebst der Betreuung auch die Arbeiten im Haushalt, Büro und Garten zu erledigen.Ein Neuanfang brachte ErleichterungTochter Claudia, gelernte medizinische Praxisassistentin, wohnt in Hinterforst und ist ihren Eltern eine grosse Hilfe. Sohn Daniel befindet sich aufgrund seines Wohnortes und seiner Arbeit seltener im Rheintal. Er lebt in Luzern und ist zur Freude seines Vaters Spitzenkoch sowie Bäcker, Konditor und Chocolatier.Im Sommer erhöhte sich die Lebensqualität der Pesaresis dank einer entscheidenden Veränderung. Sie zügelten in eine Neubauwohnung. Lift und Tiefgarage erleichtern Transportwege, und auf der Terrasse können sie ihre Blicke über den Forst bis zu den Österreicher Bergen schweifen lassen. Die Spitex hilft derzeit einmal pro Woche bei der Körperhygiene, Pro Senectute unterstützt das Ehepaar wöchentlich beim Wohnungsputz. Der Alltag ist unter Theres Pesaresis Federführung exakt organisiert. Am Dienstag besucht Fausto Pesaresi die Ergotherapie, am Donnerstag die Physiotherapie und einen Tag pro Woche verbringt er im Pflegeheim Haus Sonnengarten, um seine Frau zu entlasten. Dort kocht er mit einer Gruppe Seniorinnen und Senioren regelmässig ein Drei-Gang-Menü, das sie anschliessend essen. Der 76-Jährige mag es gesellig und lernte während seiner Tätigkeit in der Gastronomie viele Menschen kennen. Auf seine Kollegen ist Verlass. Ein Bekannter nahm Fausto Pesaresi vor der Pandemie oft mit in ein Restaurant. «Das schätzen wir. Hilfe können wir annehmen», sagt Theres Pesaresi. Obwohl ihr dies anfänglich Mühe bereitete, aus Sorge, es passiere etwas Unvorhergesehenes. Sie lernte zudem, auf ihre eigenen Bedürfnisse zu achten. Zu ihren Hobbys gehören Pilates und die Treffen mit befreundeten Frauen. Ist sie einige Stunden ausser Haus, kommt ihr Mann allein zurecht. Bei Notfällen wäre sie stets telefonisch erreichbar. Mit einer Balance der Belastung standhaltenSie gönnte sich auch schon einige Tage Ferien mit den Freundinnen, während Fausto Pesaresi im Haus Sonnengarten betreut wurde. Solche Auszeiten sind wertvoll. Denn die Betreuung erfordert viel Zeit und Kraft und gleicht oft einem unbezahlten Vollzeitjob. Am meisten gefordert sei sie durch die hohe Präsenz, sagt Theres Pesaresi. «Viele Leute wissen nicht, was es bedeutet, jemanden den ganzen Tag zu betreuen.» Manchmal höre sie die Aussage: «Fausto ist doch so gut ‹zwäg›.» Das stimme schon, aber wie viel Aufwand und Arbeit dahinterstecke, würden Aussenstehende nicht sehen.Dass sie die Betreuung mental so gut meistern könne, sei in erster Linie einem Wesenszug ihres Mannes zu verdanken. «Er ist sehr ausgeglichen.» Selber ist sie körperlich gesund, strahlt Energie sowie eine angenehme Ruhe aus. «Ganz gleich, was wir machen, wir dürfen nicht pressieren oder hetzen.» Das verursache nur unnötige Nervosität. Sobald Theres Pesaresi merkt, ein Programmpunkt wird ihr zu viel, sagt sie auch mal nein. In die Zukunft blickt das Ehepaar zuversichtlich. «Sollte die Situation irgendwann zu anstrengend werden, würden wir vermehrt die Dienste der Spitex in Anspruch nehmen.» Manchmal überlege sie, ob der Schlaganfall und dessen Folgen für etwas gut gewesen sein sollen. «Du hast früher viel gearbeitet», sagt Theres Pesaresi zu ihrem Mann. «Du wurdest gebremst. Nun haben wir mehr Zeit.» Fausto Pesaresi antwortet mit einem Lächeln: «Wäre der Schlaganfall nicht gewesen, würde ich heute noch in der Küche stehen.»

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