17.07.2019

«Siascht uus wia an Zigüünar»

Die Mundartserie, die wir in loser Folge publizieren, thematisiert den Sprachwandel. Als Beispiel dient die Oberrieter Mundart.

Von Christoph Mattle
aktualisiert am 03.11.2022
Christoph MattleAls Kind nahm man mich mit uf Sanggallan ini. Am meisten Eindruck machte mir das Warenhaus. Ob es EPA, ABM oder Oscar Weber war, scherte mich nicht. Aber die Düfte imponierten mir! Da standen die gestylten Damen, die Parfüm und Kosmetik anboten. Damals hätte man gesagt, die Damen seien usaputzt und wia us am Trückli gsii.Diese Welt hat mich richtig abgeschreckt. Man hätte gemeint, i kemm vo heandaram Moa. Wir waren im Oberied halt nicht weltgewandt. Ich realisierte als Bub, der zum ersten Mal in der Stadt war, dass die Leute frönd redeten. In St. Gallen sah ich zum ersten Mal einen Neger. Bitte nicht aufheulen! Neger war und ist insofern ein anständiges Wort, als es vom lateinischen Wort nigra abgeleitet ist und schwarz heisst. Man kann alte Wörter, auch wenn sie inzwischen als diskriminierend gelten, nicht einfach verbieten!Einige Jahre später wohnte bei uns daheim für einige Tage Pater Tibenda, ein Priester aus Afrika, der im Oberied eine Art Pastoralpraktikum absolvierte. Wie wir wirklich heandr am Moa gsii seand, zeigt die folgende Erinnerung aus dieser Zeit: Wir Goofa gingen eines Morgens an des Paters Bett und wollten sehen, eb d’ Linntüachar schwaz woara seiid.Wenn die Goofa dahoom in der Stube einen Heidenlärm machten, sagte man: «Do inna kitts jo wi innara Judaschual.» Man bemängelte zudem die Negaroannig. Und wenn an Goof a varupfts Hääs trug, sagte die Mutter: «Siascht uus wia an Zigüünar oder wia an Vaaznar.»Sollte ich Leserinnen und Leser mit diesen heute geächteten Wörtern oder die genannten Personengruppen beleidigt haben, so bitte ich um Entschuldigung. Ich bin imfall de facto ein vehementer Verfechter der Gleichberechtigung aller Geschlechter, Rassen und Religionen. Deshalb darf ich als Steigerung der politischen Unkorrektheit erinnern, dass wir das Vivi Kola, auf dessen Etikette Afrika abgebildet war, damals Negarbrunz nannten.Es gab zu dieser Zeitno ko RhiistroossFuhr man damals mit dem Auto vom Oberied gi Sanggalla, so gings über den Stoos. Die Rheinstrasse, wie die Autobahn im Rheintal genannt wurde, gab es noch nicht. Man nahm aber nicht das Auto, sondern – wie man damals sagte – da Waga oder da Luxuswaga. Sonntags machten viele Leute einen Spaziergang. Hernach ging man in eine Wirtschaft, im Sommer in eine Gartenwirtschaft.Heute heisst es oft und leider: Biergarten. Als ob man dort nur Bier trinken könnte! Biergarten ist ein Wort, das wir aus Deutschland übernehmen.In der Wirtschaft bekamen die Goofa a süassas Wässerli. Die Männer gingen auch werktags in ein Restaurant, die Frauen nicht, höchstens zusammen mit der Familie.Ging man in die Stadt, so durften dort auch die Frauen allein in einen Tea-Room gehen. Zum Kafi gab es in der Stadt a Stückli, daheim im Dorfrestaurant gad an Kroom.Da Rommlibuss fuhr von Rankweil nach OberrietAuf dem Bild aus meinem aalta Schualbüachli präsentiert sich die Stadt St. Gallen noch eher altmöödig. Ich erinnere mich nicht, in St. Gallen noch Pferdefuhrwerke gesehen zu haben. Ebenso kann ich mich nicht an ein Tram erinnern, wohl aber an den Trolibus. Einen solchen gab es ja auch im Rheintal.Auf dem Bild schreitet ein Bauer mit Stock, Pfeife, Rucksack und Hund daher. Ein Appenzeller kann es nicht sein, denn dieser hätte das Lindauerli im Muul. Bemerkenswert ist die Werbung auf dem Tram. Da steht in grossen Lettern «Maestrani», die Schoggi, die in St. Georgen produziert wurde. Noch heute prangt der Schriftzug «Maestrani» gross im Hopbahoof z Sanggallan inna.Zu meiner Schulzeit verkehrte ein fahrplanmässiger Bus von Rankweil zum Bahnhof Oberriet. Die Österreicher nannten ihn dar Omnibus, sodass ich immer Rommlibuss verstand. Manchmal durften wir bei der Weatschaft Enntracht (Oberiednerisch für Eintracht), im Buck, in den Rommli einsteigen. Der nette Vorarlberger Fahrer nahm uns gratis mit.Das war ein lieber Österreicher, denn üblicherweise mochten wir die Groschli nicht. Sie kamen mit ihren Rodeln us Moanaga auf den Blattnar (Blatten-berg) zum Schlitteln. Wir behandelten sie despektierlich und hatten oft Streit. Weil wir klein und noch blöd waren, nannten wir sie Schwoobe.

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