24.01.2022

Seitenblick: Oder ist das Schweizer Lieblingswort, oder?

«…, oder!?», beendet an einem Apéro ein Nichtbekannter jeden zweiten Satz seiner abstrusen Theorien aggressiv. Feuert ge­gen Ende seines Monologs zunehmend häufiger «oder» mit mehr Ausrufe- als Fragezeichen ab.

Von Reto Wälter
aktualisiert am 02.11.2022
Er will so die Zustimmung regelrecht aus den Zuhören­den herausprügeln. Unmöglich, die zu geben, auch diskutieren mit ihm ist sinnlos: Zu abwegig die Ideen des Mannes. «Was meinen Sie dazu?», wird eine Frau, die in der Nähe steht, von mir einbezogen, einfach um selbst zu entfliehen. Durch die scharf ausgestossenen «oder» aufgeschreckt, hatte sie angefangen, hinzuhören.Und sie argumentiert tatsächlich dagegen und hängt jeweils ein rundes, weiches, um Zustimmung heischendes «oder?» hinter ih­re Punkte. Der «Gib-mir-recht-Ausrufezeichen-oder-Mann» kommt nicht darum herum, auf die Argumente der «Butterweich-bittenden-oder-Frau» einzugehen. Eigentlich ganz nett, oder?Ich schleiche mich weg und erfreue mich an diesem Abend nun derart sensibilisiert noch an vielen «oder?», die an das Ende eines Satzes gehängt werden. Besonders zwei weitere Typen fallen mir auf: Der «Vermutungen-aufstellende-und-um-Antworten-suchende-Dreifachfragezeichen-oder-Mann» und der «Nimmt-man-mich-überhaupt-wahr-oder-Teenie».Obwohl ganz unterschiedlich eingesetzt, hat die schweiztypische und häufig gebrauchte Oder-Frage am Schluss des Satzes doch immer eine gemeinsame Aussage: Mir liegt etwas an deiner Reaktion. Eigentlich ganz nett, oder?

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